Sieg der Liebe
Augen wachsam etwas zusammenkniff, und sie erkannte, daß er sogar ihrer Verspieltheit mißtraute.
Er ist nur ein Mann, erinnerte sie sich nachdrücklich, nur ein Mann.
Strahlend lächelte sie ihn an. „Aber ich denke, Michel, es wäre für uns beide angenehmer, wenn ich Ihnen die Hälfte der Beeren, die ich gepflückt habe, auf einmal geben würde. Dann können wir wenigstens auf der Mauer sitzen und sie auf halbwegs zivilisierte Art essen.“
Was, fragte er sich spöttisch, ist wohl in diesen Beeren, das einen so plötzlichen Stimmungswandel bei ihr hervorgerufen hat? Oh, es gefiel ihm, es gefiel ihm sogar sehr gut, aber sie täuschte sich, wenn sie glaubte, er würde sie für ein paar Augenaufschläge und ein Lächeln freigeben. Sie mochte die schönste Lady in ihrer Provinzstadt gewesen sein, aber neben den Französinnen, die er kannte, und die die Koketterie zu einer Kunst erhoben hatten, war sie nur eine unerfahrene Jungfrau vom Lande.
Er reichte ihr die Hand, um ihr auf die Füße zu helfen, und genoß ihre Überraschung über seine Höflichkeit. Ihre Hand war so klein in seiner, so schlank und zart, sie paßte genau zu ihr.
Einen Moment hielt er sie länger fest als nötig, gerade so lange, um sie so zu verwirren, daß sie sie ihm entzog.
„Wie Sie wünschen, Miss Sparhawk“, sagte er und versuchte, nicht darauf zu achten, daß die Beeren ihren Lippen ein tiefes, verführerisches Rot verliehen hatten. „Aber eine Mauer wird nicht viel wärmer sein als der Boden. “
„Ich habe mich durch den Umgang mit Ihnen an einiges gewöhnt.“ Sie hockte sich auf die Mauer und hielt sorgfältig ihren Rock fest, um die Beeren nicht zu verlieren.
Michel setzte sich neben sie, so nahe, daß ihre Röcke seine Schenkel berührten, und auch nahe genug, daß sie ihn unbehaglich ansah. Aber sie rückte nicht ab, und zu seiner Belustigung fragte er sich, wer von ihnen beiden nun einen Punkt gewonnen hatte. „Ich stimme Ihnen zu, daß Sie es für eine Lady nicht sehr bequem hatten.“
Er ist nur ein gewöhnlicher Mann, dachte Jerusa, während sie sich bemühte, Haltung zu bewahren.
Schnell nahm sie den Hut von seinem Kopf und begann, seinen Anteil an den Erdbeeren hineinzuschütten. „Dann muß ich wohl dankbar sein, daß es Sommer ist und nicht Dezember oder Januar, so daß ich nicht auf einem gefrorenen Boden schlafen muß. “ „Oh, aber bedenken Sie, ma belle, daß der Juni in New England etwa mit dem Dezember in anderen Gegenden vergleichbar ist.“ Mit einer kleinen Verneigung zum Zeichen des Dankes nahm er ihr den mit Beeren gefüllten Hut ab. „In Martinique würde ein Tag wie dieser die Damen veranlassen, ihre Schultertücher zu suchen und sich nahe ans Feuer zu kauern.“
Ihre grünen Augen funkelten interessiert auf. „Sind Sie dort zu Hause? In Martinique?“
„Das war einmal“, entgegnete er ausdruckslos. Er bedauerte schon, zu viel gesagt zu haben. „Ich bin weit gereist, ma cherie, und habe viele Orte gesehen.“
„Männer können so etwas tun, nicht wahr?“ Nachdenklich spielte sie mit den Beeren. „Und haben Sie eine Frau, die zu Hause in Martinique auf Sie wartet, Michel?“
Schon der Gedanke daran erschien ihm so lächerlich, daß er sich nicht die Mühe machte, zu verneinen. „Sie sind eine neugierige kleine Person, Jerusa Sparhawk.“
„Nun, und warum nicht? Über mich wissen Sie ja schon ziemlich viel.“
„Oh, aber das gehört zu meinem Geschäft, ma cherie“, sagte er gleichmütig. Soviel konnte er ihr sagen, denn sie würde es nicht verstehen. „Soldat, Seemann, Bettler, Dieb - das alles war ich gewesen, und sogar noch mehr. Jetzt handle ich mit Königen und Gouverneuren, reichen oder auch nur verzweifelten Männern.“
„Sie sind ein Händler?“
„Ich tue das, wozu den anderen der Mut fehlt. Gegen Bezahlung, natürlich.“
Wieder lächelte er so müde, daß sie sich fragte, ob er dies alles nur erfunden hatte, um sie zu necken. Oder stimmte es doch?
Sie drehte die Erdbeere in ihren Fingern. „Was“, fragte sie unvermittelt, „hat man Ihnen gezahlt, damit Sie mich entführen?“
„Bezahlt?“ wiederholte er und dachte an das bleiche, gequälte Gesicht seiner Mutter. „Für Ihre Entführung, ma cherie, werde ich mehr bekommen als alles Gold der Welt.“
Einen Augenblick lang hatte Jerusa geglaubt, er würde ihr wirklich einen Grund nennen, und die Enttäuschung ließ ihre Stimme bitter klingen. „Alles Gold der Welt wird meinen guten Ruf nicht
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