Sieg der Liebe
dann sagen Sie mir noch einmal, daß ich aufdringlich war.“
Irgendein Flugblatt, dachte sie, als sie es nahm, denn der Druck war grob und verschmiert, und es hatte Löcher an allen vier Ecken, wo man es an einem Baum oder Aushang angenagelt hatte. Was konnte es mit ihr zu tun haben? Widerstrebend hielt sie es ins Licht, um die verschmierten Buchstaben zu entziffern.
„Das unglückselige Verschwinden einer gewissen Miss Jerusa Sparhawk wird angezeigt, einer jungen Lady aus Newport, Aquidneck Island, vermißt von ihren trauernden Freunden, am Abend des zwölften Juni.“ Davon stimmte jedes Wort, von den Umständen ihrer Heirat bis zu der Beschreibung ihrer Person und der Farbe ihrer Strumpfbänder, die sie an ihrem Hochzeitstag getragen hatte. Und am Ende, ganz unten, unter dem Namen ihres Vaters und seiner Anschrift, war ein klares Versprechen zu lesen: „Eine Belohnung bei Miss Sparhawks sicherer Rückkehr.“
„Seit Sie heute morgen an Bord gekommen sind, Madam, habe ich an nichts anderes gedacht“, beharrte der Maat. „Sie haben eine gewisse Ähnlichkeit mit der Frau, die dort beschrieben wird. Aber sagen Sie es mir, Madam, und ich werde mich Ihrem Wunsch fügen. Stimmt etwas nicht zwischen Ihnen und Mr. Geary?“
Wie gelähmt blickte Jerusa auf das Papier, bis ihr die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Waren ihre Gebete erhört worden? Sie mußte diesem eifrigen jungen Mann vor ihr nur sagen, wer sie war, und all ihre Sorgen wären mit einem Schlag vorüber. Man würde sie nach Hause bringen. Sie würde zu ihrer Familie zurückkehren, ihr Vater würde Mr. Hay so großzügig belohnen, wie er es erwartete, und ihr Leben würde wieder dort beginnen, wo es aufgehört hatte.
Und die Besatzung der Swan würde Michel in Ketten legen, bis sie den nächsten Hafen erreichten, wo man ihn einem Konstabler übergeben würde. Ein Alptraum, seine Hinrichtung, würde Wirklichkeit werden.
Ein Wort, ein einziges Wort von ihr würde genügen.
Sorgfältig faltete sie das Papier wieder zusammen. „Wie sind sie dazu gekommen, Mr. Hay?“,
„Es lag in der Posttasche, südlich von Boston. Ich habe einen Cousin dort, der mir häufig Kurioses zur Unterhaltung schickt.“ Hay beobachtete sie scharf, und jetzt beugte er sich vor, um ihr Gesicht besser sehen zu können. „Mrs. Geary, Madam? Miss Sparhawk?“
Obwohl ihr der Atem stockte, lächelte sie nur gleichmütig, als sie ihm das Blatt zurückgab. Hatte Hay wirklich geglaubt, sie mit einer so leicht zu durchschauenden List zu überführen? Da mußte er sich schon erheblich mehr Mühe geben, denn sie hatte bei einem wahren Meister gelernt.
„Ich verstehe, warum Ihr Cousin Ihnen dies geschickt hat, Mr. Hay.“ Sie fragte sich, ob er die Belohnung mit seinem Cousin teilen oder ganz für sich behalten wollte. „Die Geschichte der jungen Lady ist sehr traurig, und ich werde beten, daß sie unversehrt zu denen zurückkehrt, die sie lieben.“
Noch immer versperrte der Maat Jerusa den Weg. Er war noch nicht überzeugt. „Ich möchte nur, daß alles seine Richtigkeit hat, Madam.“
„Eine bewundernswerte Eigenschaft, Mr. Hay.“ Sie lächelte ihn zwar immer noch an, doch ihre Stimme war schärfer geworden. „Aber ich rate Ihnen, Ihre Vermutungen für sich zu behalten, vor allem in Gegenwart meines Gemahls. Ich glaube nicht, daß Sie es wünschen, in eine Auseinandersetzung mit ihm verwickelt zu werden. “
Hocherhobenen Hauptes rauschte sie an Hay vorbei, die engen Stufen hinunter, in Michels Arme.
„Ist alles in Ordnung, ma cherie ?“ fragte er leise. Daran, daß er französisch sprach, erkannte sie, wie besorgt er gewesen war. „Ich habe Barker allein gelassen, sobald es mir möglich war, ohne unhöflich zu sein. Wo ist Hay?“
Sie antwortete nicht, sondern legte einen Finger auf die Lippen und deutete mit einer Kopfbewegung zum Deck hinauf. Michel verstand sofort. Er nickte und führte sie in die Kabine zurück.
Erst jetzt fiel ihr auf, wie sehr der Maat sie beunruhigt hatte. Ihr Herz schlug heftig, ihre Handflächen waren feucht, und als Michel die Laterne in der kleinen Kabine entzündete, sank sie auf den Kojenrand, ehe die Beine unter ihr nachgeben konnten.
Jerusa hatte nicht nur Hays Hilfe abgelehnt. Sie hatte Partei ergriffen, und sie hoffte, daß sie richtig gewählt hatte.
„Mr. Hay weiß Bescheid“, sagte sie leise und schlang die Arme um den Körper. „Er weiß, wer ich bin, und er ahnt alles übrige.“
Michel sah sie scharf an und
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