Sieg der Liebe
nächsten, ehe du es merkst, ist es heller Tag.“
„Ich weiß, mein Vater hat es mir erzählt“, erwiderte sie eifrig. „Er sagt, die Sonnenuntergänge seien genauso. Der Tag wird ganz plötzlich zur Nacht.“
„Das hat er dir erzählt, aber nichts von Christian Deveaux?“ Sie schüttelte den Kopf und strich sich das Haar zurück, das der Wind ihr ins Gesicht wehte. „Vielleicht hat er den Jungen davon erzählt, aber nicht mir oder meinen Schwestern. Er spricht mit uns nur selten über die Kriege.“
„Er kannte meinen Vater, lange bevor irgendein Krieg sie zusammenbrachte, ma mie“, entgegnete Michel langsam. „Sie waren noch sehr jung, als sie sich zum erstenmal begegneten. Immer wieder trafen sie auf den verschiedensten Inseln aufeinander. Jeder versuchte, den anderen zu töten. Auf Statia spricht man heute noch davon, wie die beiden jungen Kapitäne, ein Franzose und ein Engländer, wie wilde Tiere um Mitternacht aufeinanderlosgingen, während die Bewohner der Stadt entsetzt zuschauten.“
„Du bist so schön, mein Sohn“, flüsterte Antoinette, während sie Michels Wangen streichelte. „Wenn ich dich betrachte, sehe ich wieder deinen Vater vor mir. Er war der schönste Mann, dem ich jemals begegnet bin. Helle Haut, goldblondes Haar und Augen, so blau wie das Wasser in der Bay. “
„Aber die Narbe, Maman“, widersprach Michel. Obwohl er noch jung war, kannte er die Geschichten und wußte, daß die anderen Mütter ihre Kinder von ihm ferngehalten hatten. „Jeder sagt, er wäre gezeichnet gewesen wie der Teufel. “
„Der Teufel!“ Sie lachte bitter. „Der einzige Teufel, den dein Vater kannte, war ein Engländer, mein Sohn. Ein großer Engländer mit grünen Augen, der deinen Vater gnadenlos jagte. Aber er tötete ihn nicht gleich. Nein, nein. Zuerst verbreitete er schreckliche Geschichten über ihn, Geschichten, die ihn als verabscheuungswürdig erscheinen ließen. “
Sanft drehte sie Michels Kopf, so daß sie ihm ins Gesicht sehen konnte. „Eine Seite seines Wesens war engelsgleich, die andere war - teuflisch. “
Unerwartet drückte sie mit ihren Fingern so fest zu, daß Michel erschrocken zusammenzuckte und sich zu befreien versuchte. Ihre Augen waren schwarz vor Zorn, als sie ihre Fingernägel in Michels Kinn preßte und sie langsam über die Wange bis zur Stirn nach oben bewegte. „Der englische Teufel hat mit seinem Schwert das Gesicht deines Vaters zerstört, Michel, ihn so furchtbar gezeichnet, daß die Kinder vor Angst aufschrien, wenn sie ihn sahen, und erwachsene Männer sich bekreuzigten, sobald er ihnen auf der Straße begegnete. Danach war er nicht mehr derselbe, mein armer Christian. Aber wie hätte er das auch sein können?“
Ihre Züge wurden sanfter, als sie sich in der Vergangenheit verlor, so daß Michel trotz seiner Furcht sah, daß auch Maman einst eine Schönheit gewesen war.
„Aber eines Tages wird er gerächt werden“, flüsterte sie. „Eines Tages wird Gabriel Sparhawk sich für seine Grausamkeit verantworten müssen. Und du, mein Sohn, wirst dafür sorgen.“
„Du meinst, unsere Väter haben vor den Bewohnern einer Stadt einen Kampf ausgefochten?“ fragte Jerusa ungläubig. Das konnte sie sich nicht vorstellen. Ihr Vater hatte gewiß ein leicht erregbares Temperament, aber er war auch ein angesehener Gentleman mit weißen Strähnen im Haar, hatte einen Sitz im Stadtrat und war Vertreter ihrer Kirchengemeinde. „Haben nur die beiden miteinander gekämpft?“
„Den Besatzungsmitgliedern war befohlen worden, nicht einzugreifen.“ Sobald er alt genug war, war Michel selbst nach St. Eustatius gereist und hatte auf dem Platz gestanden, auf dem sein Vater gekämpft hatte. In einer Taverne hatte Michel einen alten Mann aufgespürt, der sich an jeden Hieb, jede Finte und jeden Blutstropfen erinnerte, der auf die Steine getropft war. „Jeder wußte, daß es sich um einen Streit zwischen den beiden Männern handelte, nicht zwischen ihren Ländern. Und sie trafen sich noch oft, ma cherie.“
„Aber warum haben sie sich so gehaßt? Weshalb?“
Michel zuckte die Schultern. Seine Stimme klang wie aus weiter Ferne. „Ich weiß es nicht, Jerusa. Frag deinen Vater, wenn du willst. Ich kann meinen nicht mehr fragen.“ Bekümmert stellte Jerusa fest, daß Michel sich von ihr zurückzog. Was immer ihre Väter dazu gebracht hatte, sich so zu hassen, sie konnten sich nicht mehr versöhnen. Weder sie noch Michel konnten irgend etwas tun, um die Vergangenheit zu
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