Sieg des Herzens
ihren Fäusten zu bearbeiten. Aber er erwischte sie bei den Handgelenken, obgleich er sichtlich Mühe hatte, ihr Einhalt zu gebieten. Sofort waren auch die Männer in Zivil hinter ihr.
»Nein!« sagte Jesse heftig atmend zu den Männern, als er sie endlich unter Kontrolle hatte. Er wollte Sydney allein zur Vernunft bringen, aber sie bekam doch eine Hand frei und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Wieder machte einer der Männer einen Schritt auf Sydney zu, aber Jesse stoppte ihn abermals. Es gelang ihm schließlich, sie wieder beim Handgelenk zu packen.
»Verdammt noch mal, Sydney, muß ich Sie erst fesseln?«
Sie tat so, als ob sie sich seinem Griff ergab, und er ließ sie los. Wieder verpaßte sie ihm eine ordentliche Ohrfeige. Laut fluchend legte er ihr nun, nachdem er sie wieder zu fassen gekriegt und ihr den Arm auf den Rücken gedreht hatte, Handschellen an. Tränen traten ihr in die Augen, die sie aber wütend wegblinzelte, und mit hoch erhobenem Kinn und funkelnden Augen sah sie ihn an.
»Das ist ja eine schöne Bescherung«, bemerkte Jesse, sich die Perücke vom Kopf nehmend. Als er sich die falschen Augenbrauen und den Bart abriß, verzog er ein wenig das Gesicht. Dann faßte er in seinen Overall und nahm ein großes Kopfkissen heraus, das ihm den Anschein gegeben hatte, wohlbeleibt zu sein. Und da stand er nun wieder vor ihr, der Jesse, den sie so gut kannte, daß sie ihn rechtzeitig hätte erkennen sollen - mit seinem schlanken, athletischen
Körper und dem dichten, dunklen Haar. Seine Augen hätten ihn ihr eigentlich verraten müssen: haselnußbraun, so offen und manchmal richtig gefühlvoll, daß sie sich einst dummerweise in ihn verliebt hatte.
»Wo bringen Sie mich hin?« wollte Sydney von ihm wissen.
»Ins Alte Kapitol«, entgegnete er ihr freundlich, »wohin sonst?«
Ruckartig drehte sie sich um und sah Sissy an, die in keiner Weise erschrocken über den Vorfall gewesen war. »Du hast das alles eingefädelt.«
»Ja«, entgegnete das Mädchen ohne Umschweife.
»Du hast für mich gearbeitet; ich habe dir vertraut.«
»Ich war für Sie doch nur irgendeine Schwarze, Miß McKenzie.«
Sydney schüttelte den Kopf: »Wir haben niemals Sklaven gehalten, Sissy.«
»Ach, wirklich«, entgegnete Sissy spöttisch und hob das Kinn. »Und warum setzen Sie sich dann für Leute ein, die Sklaven besitzen?«
»Ich kämpfe für das Recht der...«
»Das Recht der Südstaaten, Sklaven halten zu dürfen. Und das ist falsch.«
»Da irrst du dich! Männer wie General Lee hatten schon Pläne ausgearbeitet, wie sie ihre Sklaven entlassen könnten, damit diese danach nicht ohne einen roten Heller auf der Straße stehen und betteln gehen müssen ...«
»Miß McKenzie, es ist falsch, einen anderen Menschen zu besitzen. Das weiß ich ganz genau. Ich wurde als freier Mensch geboren, aber Männer, die nur auf ihre Fangprämie aus waren, haben mich aufgegriffen und zu einem Mann nach Nordcarolina gebracht, der mich auspeitschen ließ ...«
»Nicht alle Menschen sind so grausam!«
»Aber viele«, entgegnete Sissy. »Und ich trage immer noch die Narben davon mit mir herum. Sie können sich gern einmal meinen Rücken ansehen.« Etwas ruhiger fügte sie dann hinzu: »Wenn ich Sie enttäuscht haben sollte, tut es mir leid. Aber ich will einfach nicht, daß die Südstaaten weiter das Recht haben, Männer und Frauen meines Volkes zu besitzen.«
Darauf wußte Sydney ihr nichts zu erwidern, und als Jesse wissen wollte: »Können wir jetzt gehen?« stürmte Sydney ohne ein weiteres Wort aus dem Laden. Unterwegs drehte sie sich dann aber noch einmal zu ihm um und fragte: »Wo ist der echte Jeff Watts?«
»Er ist entkommen«, antwortete Jesse und fügte, als draußen ein Wagen vorfuhr, hinzu: »Wir müssen jetzt los, Sydney.«
Als sie einsteigen wollte, nahm Jesse sie am Ellbogen, um ihr behilflich zu sein. Aber sie schüttelte wütend seine Hand ab.
»Zur Hölle, Sydney, ich ...«, entfuhr es ihm, aber da wirbelte sie auch schon zu ihm herum und schrie ihn wutentbrannt an: »Nein, zur Hölle mit Ihnen!« und stieg ohne seine Hilfe in die Kutsche.
14
Bald nach der Schlacht bei Brandy Station war Julian schon wieder unterwegs. Die Armee von Nordvirginia, der er nun angehörte, zog Richtung Norden. Das war an sich keine große Überraschung, da jeder wußte, daß Lee vorhatte, auf dem Boden der Nordstaaten zu kämpfen. Lee war der Meinung, daß er den Norden vielleicht dazu bewegen konnte, das Kämpfen aufzugeben, wenn er
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