Sieg des Herzens
versuchte den Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, aber er war schneller: »Ah, Mrs. Tremaine, es tut mir leid, daß ich Sie stören muß, aber ich habe noch ein paar Fragen, Ihre Gäste betreffend, die wohl vor nicht allzu langer Zeit das Haus verlassen haben, und ob Sie meinen...«
Sie litt normalerweise nicht unter Wahnvorstellungen, und sie war noch nie in ihrem Leben ohnmächtig geworden. Aber plötzlich war die Welt um sie herum dunkel und kalt, und sie hatte das Gefühl, jetzt endgültig den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»... Bruder gesehen haben, Mrs. Tremaine.«
Rhiannon bekam noch ganz am Rande mit, was der Yankee-Colonel gesagt hatte - aber es war zu spät: Sie glitt immer tiefer in die Dunkelheit.
4
Mrs. Tremaine!«
Als Rhiannon die Augen öffnete, lag sie auf der Chaiselongue im Salon, und er war immer noch da, saß neben ihr und sah sie besorgt an. Er war das genaue Ebenbild des Rebellendoktors, der so plötzlich in ihr Leben getreten war.
»Sein Bruder ...«, stieß sie heiser hervor.
Er nickte lächelnd. »Geht es Ihnen jetzt wieder besser, Mrs. Tremaine? Ich bin Colonel Ian McKenzie, U. S. Kavallerie, und es tut mir sehr leid, daß ich Sie so erschreckt habe. Als Ihr Bediensteter in St. Augustine ankam, bin ich so schnell wie möglich mit meinen Männern hergeritten ... Ich hatte ohnehin vor, einmal während meines Aufenthalts hier vorbeizuschauen, schon bevor ich Ihre Nachricht erhielt.«
Sie versuchte, sich aufzusetzen, und drückte die Handballen gegen die Schläfen.
»Mrs. Tremaine?«
Sogar seine Stimme klang wie die des Arztes, angenehm tief und mit einem leichten Südstaatenakzent.
»Es geht mir gut«, beeilte sie sich zu sagen. »Sind Sie Zwillinge?«
»Nein, wir sind keine Zwillinge, obwohl man mir schon öfter gesagt hat, daß wir uns ein bißchen ähnlich sehen«, entgegnete er höflich und beobachtete genau ihr Gesicht, bevor er weitersprach: »Aber ich gebe zu, daß noch keiner von Julians Bekannten so auf mich reagiert hat...«
»Sie sehen genauso aus wie er«, flüsterte sie beinah. »Die gleichen Augen, das gleiche Haar, die gleichen Gesichtszüge...«
»Nein«, unterbrach Ian McKenzie sie mit einem subtilen Lächeln, »er sieht so aus wie ich. Ich bin älter, um ein Jahr.«
»Und außerdem ... tragen Sie eine richtige Uniform und sind nicht annähernd so hager...«
»Ich bin auf der Seite, die häufiger etwas zu essen be-kommt«, entgegnete Ian McKenzie trocken. »Und machen Sie sich keine Sorgen um Julian - man sollte ihn nicht unterschätzen. Er mag schlank sein, Ma'am, aber das sind alles Muskeln, und er ist klug genug, um auf sich achtzugeben.«
»Ich mache mir keine Sorgen um ihn«, murmelte sie.
»Ach ja, natürlich nicht, er ist ja ein Rebell - der Feind«, sagte Ian McKenzie.
Aber Rhiannon hatte das Gefühl, als ob er sie dabei merkwürdig ansah, und sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Was mochte er wohl an ihrem Gesicht ablesen?
»McKenzie ...«, wiederholte sie nachdenklich seinen Nachnamen und nickte dann mit dem Kopf. »Jetzt fällt es mir wieder ein: Mein Vater hat manchmal von Ihrer Familie gesprochen! Sie haben ein Haus in der Nähe von Tampa Bay. Ihr Vater hat sich dort angesiedelt, bevor meiner hierherkam.«
»Unsere Familie wohnt wirklich schon lange dort, und wir haben Sie oft nach Cimarron eingeladen, Mrs. Tremaine. Aber Sie und Ihr Vater waren meistens geschäftlich im Norden, wenn wir ein Fest gaben.«
»Ja, ich denke, wir waren ziemlich oft verreist«, bestätigte Rhiannon und kam sich plötzlich ziemlich albern vor. Immerhin war sie ohnmächtig geworden, nur weil sie ihn gesehen hatte. Verlegen strich sie ihr Haar zurück. »Sie und Ihre Männer haben die Rebellen also verpaßt?«
»Ich fürchte, wir kamen ein paar Minuten zu spät, Ma'am«, erwiderte er. »Sind Sie sicher, daß mit Ihnen alles in Ordnung ist? Sie sehen immer noch sehr blaß aus.«
»Sie hat schlecht geschlafen.«
Diese beinah spöttisch klingenden Worte kamen von Rachel, die, wie Rhiannon jetzt erst bemerkte, die ganze Zeit hinter dem Yankee-Colonel gestanden hatte.
»Ich habe Angus zu Hauptmann Cline geschickt. War denn der Hauptmann verhindert?«
»Der Hauptmann ist in einem Scharmützel verwundet worden.«
»O mein Gott, ist er...«
»Nein, nein, er ist nicht tot. Die Wunde verheilt ganz gut.«
»Gott sei Dank.«
»Ja, und da bin ich nun also an seiner Statt gekommen. Und dann waren wir auch noch zu spät. Ich muß mich entschuldigen.
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