Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
Notizbuch. Wir aßen das Eis im Truck, bis Adam mit seinem Erdbeereis fertig war, weil ich nicht mein eigenes und Adams Eis halten und gleichzeitig auch noch fahren konnte.
Als ich wieder über die Brücke fuhr, in einer Hand immer noch mein Bananeneis, konnte ich den Maryhill-Campingplatz sehen, voller Zelte, Trailer und Campingmobile. Hatte MacKenzie mit ihrer Familie dort gewohnt? Oder hatten sie an einem stilleren Ort ihr Zelt aufgeschlagen? Mir waren keine anderen Camper aufgefallen. Aber wenn es der Maryhill-Campingplatz gewesen war, hätte Kojote ihn vielleicht schnell genug erreichen können, um das Mädchen zu retten, während ich Flussteufel beschäftigt hielt. Wenn sie denn dort gewesen war, und wir gewusst hätten, dass sie dort war.
Ich fuhr zum Campingplatz zurück und fing an zu schreiben. Einen Brief an meine Mutter und einen für jede meiner Schwestern. Ich erwähnte Kojote natürlich
mit keinem Wort. Ein langer Brief an Samuel und Bran. Ein Brief an Jesse. Ein Brief an Stefan. Eine Menge Seiten, die ich verbrennen würde, falls ich die Nacht überlebte.
Jesse rief auf Adams Handy an, als ich gerade dabei war, ihren Brief zu schreiben. Er brachte mir sein Handy, damit ich drangehen konnte – nach einem ungeschickten ersten Versuch.
»Ich brauche Daddy«, sagte Jesse eindringlich. »Jetzt.«
»Er kann nicht reden.« Adam legte sein Kinn auf mein Knie.
»Das ist mir egal. Bring ihm das Telefon ins Bad.«
»Er ist ein Wolf, Jesse«, erklärte ich ihr geduldig. »Er kann nicht reden. Gibt es etwas, was ich für dich tun kann?«
»Warum ist er ein Wolf?«, fragte sie schockiert. »Es sind eure Flitterwochen.«
»Jesse. So gern ich auch meine Hochzeitsreise mit dir diskutieren würde – was brauchst du?«
»Es ist Darryl«, jammerte sie. »Er ist unmöglich. Auriele ist weg, weil sie irgendwas erledigen muss, und er sagt, ich darf nicht shoppen gehen. Mein Lieblingsladen hat einen vierstündigen Ausverkauf, von Mittag bis vier Uhr, und er lässt mich nicht gehen.«
Shoppen, das wusste ich sicher, hatte Jesse nie im Mindesten interessiert. Es gab andere Dinge, über die sie sich den Kopf zerbrach, und ich wusste nur von einem, der einen dermaßen panischen Ton in ihre Stimme zaubern konnte.
»Gabriel will, dass du etwas tust«, übersetzte ich. »Vielleicht ins Kino gehen? Darryl wäre lästig, und du dachtest,
wenn du etwas findest, was er nicht tun will, lässt er dich allein aus dem Haus.«
»Darryl steht neben mir, weißt du?«
»Dein Vater hätte dir die Geschichte vielleicht abgekauft, aber selbst das bezweifle ich«, erklärte ich ihr. »Wo wollt ihr hin?«
»Darryl kritisiert Filme«, sagte sie. »Lauthals. Während des Films, und Gabriel …«
Gabriel hatte sich im letzten halben Jahr verändert. Er war von einer Mutter, die er liebte, aus dem Haus geworfen worden (sie liebte ihn auch – das war ein Teil des Problems) und war der Gefangene einer Feenkönigin gewesen. Solche Erlebnisse verändern Menschen. Vor allem war er um einiges wachsamer und viel ernster als früher.
Gabriel lebte in dem Haus, das meinen alten Trailer ersetzt hatte, also waren er und Jesse jetzt Nachbarn. Aber er hatte den festen Glauben daran verloren, dass alles sich schon zum Besten entwickeln würde – sobald er gesehen hatte, dass Monster eben Monster sind. Auch in der Nähe einiger Werwölfe war er sehr … vorsichtig. Adam schien ihm nichts auszumachen, aber Darryl schon.
»Was ist mit Kyle und Warren?«, fragte ich. Warren hatte den perfekten Südstaatencharme und war fast so gut darin seine Dominanz zu verbergen wie Bran. Die Leute neigten dazu, Warren zu mögen, und er und Gabriel kamen gut miteinander aus.
Es folgte ein kurzes Schweigen. »Kyle ist wichtig, Mercy. Er und Warren können sich nicht einfach die Zeit nehmen, um mit ein paar Kindern ins Kino zu gehen.«
Ich lachte und Adam nieste. »Hast du das gehört, Darryl? Kyle ist wichtig.«
»Gut zu wissen, dass irgendwer hier wichtig ist«, grummelte er. Aber er war nicht wütend. Darryl hatte einen Doktor und arbeitete in einer Denkfabrik der Regierung, als Analyst für Vorgänge, die für die meisten Leute schlichtweg zu komplex waren. Er und seine Gefährtin Auriele waren zu Jesses Babysittern geworden, als ihre Mutter verschwunden war, weil weibliche Werwölfe sehr selten sind: Adams Rudel hatte nur drei. Und Darryl war Adams Stellvertreter, ein Wolf, der mehr als geeignet war, um sich jeden zur Brust zu nehmen, der versuchte,
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