Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
Wasser war eisig, da die Sonne schon so lange untergegangen war. Ich stolperte über einen großen Stein auf dem Grund und fiel platschend ins Wasser. Ich gab auch ein Geräusch von mir – eisiges Wasser auf angenehm warmer Haut bringt mich gewöhnlich zum Quietschen. Der Mann im Boot schrie – und so heiser, wie seine Stimme war, war es nicht das erste Mal, dass er heute Nacht geschrien hatte.
»Es ist okay«, sagte ich und kam wieder auf die Beine. »Du bist in Sicherheit.«
Er hörte auf zu schreien, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich verstanden hatte. Manchmal ist die Angst einfach
zu groß – so dass sich alles auf das Überleben konzentriert und den Rest verdrängt. Ich hatte das schon ein paarmal erlebt.
Die Steine unter meinen Füßen waren scharf, aber sobald ich hüfttief im Wasser stand, drückte mein Gewicht mich nicht mehr so heftig nach unten. Wäre ich auf dem Weg flussabwärts gewesen statt flussaufwärts, hätte ich stattdessen schwimmen können. Adam patrouillierte unglücklich am Ufer auf und ab.
Die Bäume hingen über den Fluss und unter ihnen bildete das Ufer eine Einbuchtung. Bei meinem Versuch, den Dreck zu durchwaten, der sich in der kleinen Staukurve gesammelt hatte, trat ich in eine Ansammlung von Unterwasserpflanzen, die ich nicht einmal bemerkt hatte, bis ich schon mittendrin stand.
Meine Nachtsicht ist verdammt gut, aber der Fluss bildete einen undurchdringlichen schwarzen Schleier und alles unter der Wasseroberfläche war vor meinen Augen verborgen. Wer wusste schon wirklich, was im Columbia lebte?
Ich stieß einen kurzen Schrei aus, als etwas mein Bein mit etwas mehr Kraft berührte als der Rest der Algen. Adam, den ich jenseits des Gebüsches nicht mehr sehen konnte, jaulte.
»Tut mir leid, sorry«, sagte ich. »Es geht mir gut. Mein Bein hat sich nur in ein paar Algen verfangen. Ich kann unter Wasser nicht das Geringste sehen, und zusammen mit der Angst des Kerls sorgt das dafür, dass ich ziemlich angespannt bin. Sorry.«
Die dämliche Pflanze war ziemlich zäh. Sie umklammerte meinen Unterschenkel, während ich mich dem
Boot näherte, und widersetzte sich meinen halbherzigen Versuchen, sie abzuschütteln. Einer der Hauptgründe für Tod durch Ertrinken ist der Hang einiger Wasserpflanzen, sich um die Arme und Beine nichtsahnender Schwimmer zu wickeln. Ich erinnerte mich selbst daran, dass diese hier nur irritierend war, da ich schließlich mit beiden Beinen fest auf dem Grund des Flusses stand. Kein Grund zur Panik.
Sobald ich den Bootsrand packte und zur Sache kam, vergaß ich die Pflanze. Ich konnte gerade so über den Rand schauen, also konnte ich den verletzten Mann nicht gut erkennen.
»Es ist okay«, erklärte ich ihm. »Wir holen dich hier raus.«
Ich zog testweise an dem Boot, aber inzwischen stand ich bis zur Brust im Wasser und die Strömung drohte, mich von den Füßen zu reißen. Mein Ziehen sorgte nur dafür, dass ich mich bewegte.
Ich verlagerte meinen Griff und ging näher zum Bug. Wenn ich das Boot so zog, wie es gedacht war, und nicht seitwärts, sollte es viel weniger Mühe kosten. Als letzte Möglichkeit blieb mir immer noch, hineinzuklettern und den Motor anzuwerfen – aber die Äste der Bäume schwebten lediglich ein paar Zentimeter über dem Rand und ich wollte mir beim Einsteigen nicht den Rücken zerkratzen.
Dann hörte ich etwas und riss den Kopf hoch.
Ungefähr zehn Meter von dem Boot entfernt erhoben sich vier kleine Köpfe aus dem Wasser. Otter.
Super, das war einfach super. Genau das, was ich jetzt noch brauchen konnte.
»Otter«, erklärte ich Adam, während die Kälte des Wassers
meine Zähne klappern ließ. »Falls ich anfange zu schreien, haben die Otter mich erwischt.«
Er knurrte. Es war ein tiefes, bedrohliches Geräusch und die vier Köpfe verschwanden. Das war nicht so beruhigend, wie es klingt. Aber ich spürte keine scharfen Zähne an den Körperteilen, die unter der Wasseroberfläche lagen – zumindest noch nicht. Das Einzige, was mich berührte, war dieses verdammte Flussgras, das immer noch ziemlich eng um meinen Knöchel lag.
Ich hatte eine Freundin, die einmal vor der kalifornischen Küste mit den Seeottern geschwommen war. Sie hatte es als unglaubliche Erfahrung beschrieben. Anscheinend begleiteten die verspielten, süßen Tiere regelmäßig die Taucher in der Gegend. Ihre Spiele waren oft ein wenig grob – Taucher, die regelmäßig mit ihnen schwammen, mussten oft ihre Taucheranzüge ersetzen,
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