Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)
jede Menge Geschichten über Menschen gab, die sich in Tiere verwandelten – und Tiere in Menschen, wenn wir schon dabei sind. Und er wusste von Adam, der auf jeden Fall jemand war, der sich in ein Tier verwandelte.
Adam lächelte und zeigte dabei seine Zähne. Ich hatte es nicht gesehen, aber Calvins Gesicht verriet mir, was er getan hatte. Adam hatte seine zivilisierte Maske fallen lassen und hatte Calvin sein wahres Gesicht gezeigt.
»Man kann Werwölfe nicht anlügen«, erklärte ich dem jungen Mann. »Du hättest genauso laut schreien können:
›Ja, aber ich will nicht, dass ihr mich darüber ausfragt‹.«
Calvin schluckte schwer und seine Angst stieg mir wie Parfüm in die Nase.
»Mercy?«, fragte Adam.
Er hatte einen Plan – und ich vertraute ihm, solange er sein Temperament unter Kontrolle behielt. Werwölfe sind Monster. Ich bin mit ihnen aufgewachsen, ich liebte Adam – und er würde mir nie wehtun. Aber diese Rücksichtnahme erstreckte sich nicht auf Leute, die ihm nichts bedeuteten. Je schneller die Situation – woraus auch immer sie bestand – entschärft wurde, desto sicherer war es für alle Beteiligten.
Manchmal kommt man an Informationen, wenn der Gegner denkt, man wüsste sowieso schon alles. Und darum hatte Adam mich gebeten – Calvin zu erzählen, was ich war.
»Ich kann mich in einen Kojoten verwandeln«, sagte ich. »Meine Mom meint, ich muss es von meinem Vater haben.«
Calvin fiel die Kinnlade runter, dann erstarrte sein Gesicht. »Deine Mutter war eine weiße Frau«, sagte er drängend. »Du kannst dich nicht in einen Kojoten verwandeln.«
»Kann ich wohl«, schoss ich empört zurück. Es war eine Sache, wenn ich ihm sagte, dass er log – ich wusste, dass ich Recht hatte. Es war etwas völlig anderes, wenn er mir erklärte, ich würde lügen.
»Kannst du nicht.«
»Kann ich wohl.«
»Kannst du nicht.«
»Kann ich wohl.«
»Mercy«, sagte Adam betont geduldig, auch wenn Belustigung in seinem Ton mitschwang. Er wusste, dass ich es absichtlich machte. Das war okay, weil er jetzt nicht mehr wütend war.
»Kannst du nicht«, sagte Calvin wieder.
»Jetzt hört beide auf. Keiner von euch beiden ist fünf.« Adam sah zu Calvin. »Er hat sowieso verraten, was ich wissen wollte. Dieser Bussard war kein normaler Vogel, und der hier wusste es.«
Niemand liest Körpersprache wie ein Werwolf, dachte ich. Und dann verstand ich, was Adam wirklich sagte.
Mir schoss das Blut in den Kopf und ich musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht umzufallen – und auf dieser Seite ging es einen halben Meter den Berg hinunter. Adam riss mich auf den Pfad zurück, bevor ich fallen konnte. »Okay?«, fragte er.
Ich nickte, obwohl ich mir nicht vollkommen sicher war.
Ich hatte noch nie einen anderen meiner Art getroffen. Nach mehr als dreißig Jahren war ich irgendwie davon ausgegangen, dass keiner mehr übrig war. Dass ich die einzige war.
Ich hatte außerdem angenommen, sie wären wie ich Kojoten. Hatte der alte Mann gestern Nacht das nicht irgendwie angedeutet? Er hatte gewusst, dass ich ein Kojote war, und ich hatte ihm nur gesagt, dass ich ein Walker war.
Ich wusste nicht viel darüber, was es hieß, ein Walker zu sein. Nur was Bran mir erzählt hatte und er hatte nicht viel gewusst – oder hatte mir genau so viel erzählt, wie er wollte. Ich war mit der Überzeugung aufgewachsen, dass die zweite Variante wahr war, aber nach dem letzten Jahr tendierte ich eher zur ersten.
»Sie ist ein Walker«, erklärte Adam Calvin. »Gründe zu erfinden, warum es nicht möglich ist, hilft nicht weiter, und dasselbe gilt fürs diskutieren. Ich sollte es wissen: Ich wurde von einem räuberischen Werwolf in Vietnam gebissen und verwandelt. Selbst heute kenne ich keinerlei Werwölfe in Asien – es gibt dort drüben Dinge, die uns nicht mögen, und sie können dafür sorgen, dass ihr Missfallen tödlich ist. Und trotzdem bin ich da. Mercy verwandelt sich in einen Kojoten. Du kannst diese Tatsache nicht leugnen. Akzeptier sie einfach und komm drüber hinweg. War das dein Großvater?«
Wenn Gordon Seeker ein Walker war, der sich in einen Rotschwanzbussard verwandelte, würde das erklären, warum er so einfach verschwinden konnte. Trotzdem hätte es einen Kleiderhaufen geben müssen, wo er sich verwandelt hatte, aber wenn er ein Walker war, wären die größten Fragen beantwortet.
»Grandpa Gordon verwandelt sich«, sagte Calvin. Er starrte mich mit einem Gesichtsausdruck an, als hätte er
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