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Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)

Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition)

Titel: Siegel der Nacht: Mercy Thompson 6 - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Briggs
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während ich sie beobachtete, trat sie hinter einen riesigen Felsen und verschwand in der Landschaft.
    »Zweimal im Jahr veranstalteten sie ein Potlatch,« sagte Calvin, »eine Party, zu der sie Leute aus der gesamten Umgebung einluden. Als Teil des Potlatchs hielten junge Männer und Frauen von zwölf oder dreizehn Jahren ihre Visionssuchen ab. Danach kamen sie hierher und zeichneten eine Erinnerung an ihre Visionen auf die Felsen.«
    Er führte uns zu einer Wand der Basaltklippen – eine winzige Klippe, wenn man sie mit denen verglich, auf die er gerade erst gezeigt hatte. Er blieb schweigend stehen, also sah ich nach oben. Ich brauchte einen Moment, um zu verstehen, was ich sah, obwohl ich danach Ausschau gehalten hatte. Die alte Farbe verband sich mit dem Stein, als gehörte sie dort hin und ich wäre ein Außenseiter. Sobald ich ein Bild entdeckt hatte, waren sie plötzlich überall.
    Es gab Dutzende, oder zumindest Teile von Dutzenden. Einige waren klar als Menschen oder verschiedene Tiere erkenntlich. Andere konnte man unmöglich entschlüsseln, entweder, weil die Farbe zu sehr verblasst war, oder weil die Symbolsprache, die sie benutzt hatten, zu fremd war, um von mir gelesen zu werden. Es gab einige Symbole, die offensichtlich waren – wie eine Reihe von parallel verlaufenden Schlangenlinien für fließendes Wasser. Andere waren weniger verständlich: eine rot-weiße Zielscheibe, lange Schlangenlinien, Kreise.
    Ich trat näher und verschränkte meine Hände hinter dem Rücken wie ein Kind, dem man gesagt hatte, es solle nichts anfassen. Vor Hunderten von Jahren hatte jemand gestanden, wo ich jetzt stand, und hatte seine Finger an den Felsen gelegt. Vor fünfhundert Jahren oder auch vor tausend.
    Mir kam der Gedanke, dass Bran, der Marrock, bereits
gelebt hatte, als diese Bilder entstanden waren. Fünfhundert Jahre lebte er auf jeden Fall schon, und auch die tausend waren fast sicher.
    Trotzdem. Ich fragte mich, ob der junge Erwachsene, ob Mädchen oder Junge, damals geahnt hatte, wie lange seine Kunst bestehen würde, als letztes Zeugnis, dass sie einst auf Erden gewandelt waren.
    Neben mir versteifte sich Adam und atmete tief durch. Er drehte sich langsam um, bis er auf eine Stelle starrte, die wir erst vor ein paar Minuten passiert hatten. Ich folgte seinem Blick, bis ich es auch entdeckte.
    Auf einem Felsvorsprung über dem unteren Teil des Pfades saß ein Rotschwanzbussard und starrte uns an. Wie die Piktogramme gehörte er dorthin. Aber an seinem Interesse an uns war irgendetwas seltsam. Es erinnerte mich ein wenig zu sehr an die Frau im Museum. Der Vogel hob ab und flog direkt über unsere Köpfe hinweg, bevor er über den Fluss abbog und aus unserem Sichtfeld verschwand.
    Während er davonflog, realisierte ich, dass ich mich an meine Visionssuche erinnert fühlte, an all die Tiere, die mich gejagt und mir das Gefühl gegeben hatten, nicht willkommen zu sein, bis ich Kojote getroffen hatte. Eine Visionssuche wie die jener lang verschwundenen Künstler. Vielleicht, dachte ich aus einer plötzlichen Laune heraus, sollte ich einen La-Z-Boy auf einen der Felsen zeichnen. Aber irgendwie war ich mir ziemlich sicher, dass niemand verstehen würde, dass ich keinen Vandalismus betrieb – sondern nur die Traditionen fortführte.
    Wäre Calvin nicht da gewesen, hätte ich es Adam erzählt. Ich sah ihn an und stellte fest, dass er Calvin mit goldenen Augen musterte, in denen Wut kochte.
    Ich legte meine Hand auf seinen Arm. Goldene Augen waren kein gutes Zeichen, wenn wir unter Freunden waren.
    Adam bedeckte meine Hand mit seiner und trat einen Schritt vor, so dass er zwischen mir und Calvin stand. »Hast du in deiner Ausbildung zum Medizinmann jemals von Leuten gehört, die sich in Tiere verwandeln, Calvin?« , fragte er mit erstaunlich höflicher Stimme.
    Ich warf Adam einen fragenden Blick zu und drückte sanft seinen Arm. Ich kannte Calvin kaum; es gab keinen Grund, ihn hinterfragen zu lassen, was ich war. Etwas war passiert, während ich den Bussard beobachtet hatte, und ich war mir einfach nicht sicher, was es war.
    Was auch immer, Adam war ziemlich wütend auf Calvin. Ich fragte mich, ob er mich hinter sich geschoben hatte, um mich zu beschützen – oder um mich davon abzuhalten, Calvin zu beschützen.
    »Nein«, sagte Calvin – und das war ein Fehler. Er hätte von seinem Großvater lernen sollen, wie man nicht-log. Außerdem kannte selbst ich genügend indianische Mythen, um zu wissen, dass es

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