Sieh mich an, Al Sony
wissen — wie eine Närrin.
Shinichro rief meinen Namen durch die Tür, aber ich wollte nicht antworten. Ich starrte die chromglänzende Handtuchstange an und wünschte, ich hätte etwas Weiches, um mich daran festzuhalten, etwas, das ich in den Arm nehmen könnte, etwas Kindliches, Kleines. Ich streckte die Hand aus und nahm statt dessen das Handtuch, hielt den rosafarbenen, dichten, hochwertigen Baumwollstoff an mein Gesicht und atmete das schwere, teure Parfüm der Frau, die uns hereingelassen hatte.
»Wo ist sie?« fragte ich am nächsten Morgen. Meine Lippen waren ausgedörrt, und meine Stimme klang trocken und dünn wie altes Papier. Shinichro stellte den parfümierten Tee auf einen zierlichen schwarzen Tisch neben dem Bett über mir und hockte sich dann hin, um mir zu antworten.
»Bei Freunden.«
»Hast du die ganze Nacht da oben geschlafen?«
Ich deutete auf den Futon, der zusammengerollt auf den Holzlatten lag. Er nickte und trat mit dem nackten Fuß gegen die Luftmatratze, auf der ich lag.
»Wie war es hier?«
»Prima.«
An viel konnte ich mich nicht erinnern, und das war vermutlich besser so.
»Wer ist sie?« fragte ich.
»Sie heißt Hanae. Sie arbeitet für eine Werbeagentur, die einen Etat von meiner Firma hat.«
»Ich habe dich gefragt, wer sie ist, Shiny.«
Er nahm sich Zeit mit der Antwort, und wer konnte es ihm verdenken?
»Meine Verlobte.«
Ich winkte nach dem Tee, und er stellte ihn neben mir auf den Boden. Na toll. Da lag ich auf dem Fußboden im Schlafzimmer der Frau, die ich aus ihrer Wohnung vertrieben hatte, als sie einen vergnüglichen Abend oder vielleicht ein ganzes Wochenende mit ihrem Freund erwartet hatte, der, wie sie gleichzeitig erfährt, auch mein Freund — und mehr — gewesen ist. Ich hatte die halbe Nacht in ihrem Badezimmer verbracht und mich ihres Hausarztes bedient. Es war kein guter Anfang und erster Eindruck, aber es sprach Bände, was ihr asiatisches Pflichtgefühl anging.
»Weiß sie, wer ich bin? Oder bin ich heutzutage immer noch deine Putzfrau?«
»Sie weiß es.«
»O Gott.«
»Sie wußte es die ganze Zeit.«
»Du lieber Gott.«
Shinichro setzte sich mit gekreuzten Beinen neben mir auf den Boden; ich ließ mich zurücksinken und schlug die Hände vors Gesicht. Er zog an meinem Arm, ich zog ihn zurück. Ich konnte seine Stimme prima hören. Dazu brauchte er mein Gesicht nicht zu sehen.
»Sie ist zuerst nach London gegangen. Ich bin ihr gefolgt. Aber es war nicht mehr das gleiche. Ich verstand erst nicht, wie es sein konnte, bis ich dich kennenlernte. Ich bin mit dir gegangen, um es zu verstehen.«
»Noch ein verfluchtes Experiment. Gott, du bist ein Unmensch. Versuch doch, dein Opfer beim nächsten Mal vorher zu betäuben... «
»Zu Anfang, Georgina..., aber dann fing ich natürlich an, etwas für dich zu empfinden, trotz deiner Unberechenbarkeit.«
»Kein Problem damit.«
»Womit?«
»Unberechenbarkeit.«
»Oh.«
Ich nahm seinen Arm und zog mich daran hoch, damit ich den schwachen Tee trinken konnte, solange er heiß war. Dann schaute ich mich im Zimmer um. Es war spärlich möbliert, in jenem minimalistischen Stil, der in diesen Zeiten des Überflusses als letzter Schrei galt. Hier war nichts, was nicht hierher gehörte. Frische Blumen blühten in einer geschmackvollen weißen Vase auf einer niedrigen Kommode aus mattem schwarzen Holz, auf der ein großer, länglicher Spiegel stand. Dieses Arrangement diente meiner abwesenden Gastgeberin als Frisiertisch, und es war bemerkenswert frei von Staub und unansehnlichem Durcheinander.
»Was ist passiert, als du herausfandest, daß sie ganz anders ist als ich?«
»Ich habe nicht erwartet, daß sie so ist wie du oder daß du bist wie sie. Sie hatte sich unmerklich verändert, beinahe unmerklich. Ich wollte wissen, wie.«
»Sehr gut«, sagte ich.
»Gut? Ich verstehe nicht...«
»Unmerklich. Das Wort.«
»Unmerklich? Findest du?« Er lächelte.
»Ja. Sehr gut.«
»Nicht schlecht, finde ich.«
Darüber lachten wir. Nach einer Weile tat es weh. Ich konnte nicht mehr, und er streichelte meinen Arm, als er es merkte, und wieder trieb er mir die Tränen in die Augen mit seiner Sanftheit, mit dieser schrecklichen, treulosen Sanftheit. Ich hatte Angst, ich könnte mich gehenlassen, könnte mich vollständig an meinen Schmerz und meiner Verzweiflung verlieren. Ich preßte die Lippen zusammen, bis sie weh taten.
»Also gut. Sag mir, was sich da so unmerklich verändert hatte und was du so
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