Siggi Baumeister 19 - Mond über der Eifel
Lehre ausgesprochen. Also gab mein Teufel mir den Rat, das genau den Leuten zu sagen. Das habe ich dann getan.«
»Und wie haben die reagiert?«
»Wie üblich, sie haben angefangen zu stottern, wurden verlegen, drehten sich ab und gingen davon. Aber das tun sie ja immer, und ehrlich gestanden erheitert mich das auch.«
»Warum leben Sie hier? Warum leben Sie nicht in einer Stadt, wo Sie leichter Gleichgesinnte finden?«, fragte ich.
»Weil man sich auf das große Leben vorbereiten muss. Das geschieht in ländlicher Umgebung durchaus besser. Mein Orden sagt mir, wann ich meinen Wohnort wechseln sollte.«
»Welcher Orden, bitte?«, fragte Rodenstock.
»Ich bin Angehöriger des Ordo Templi Orientis, unser Prophet Aleister Crowley gründete ihn. Und sein Rat ist für mich Gesetz: Tu, was du willst!«
»Sprechen Sie auch mit ihm?« Rodenstock griff nach seinem Glas.
»Nein, das kann ich nicht. Aleister war ein Sterblicher, und er sitzt jetzt neben Lucifer und hört ihm zu. Aber manchmal kann ich spüren, was er gewollt hätte.«
»Ich sehe da in dem Regal zwei Totenschädel. Sind die echt?«, fragte ich.
»Ja, die sind echt. Manchmal hat man Glück und ist dabei, wenn alte Gräber aufgelassen werden. Da kann man so ein Gefäß dann bekommen.«
»Sie sollen eine Gefährtin haben. Pilla Menge soll sie heißen. Ist das richtig?« Rodenstock lächelte ihn freundlich an.
»Pilla ist nicht meine Gefährtin, sie ist meine Sklavin, sie gehorcht mir. Streng genommen atmet sie nicht einmal, wenn ich es ihr untersage.«
»Und das meinen Sie ernst?«, fragte ich einigermaßen fassungslos.
»Vollkommen ernst«, nickte er.
»Haben Sie hier in dieser Gegend Gleichgesinnte?« Rodenstock hatte jetzt ganz schmale Augen.
»Es gibt einige, die uns besuchen und mit uns über unsere Religion diskutieren. Aber sie schrecken vor unserer Unbedingtheit zurück, den meisten fehlt der Mut, sich offen zu bekennen. Aber das wird sich ändern, wenn unsere Zeit gekommen ist.«
»Ist das richtig? Sind Sie Sendboten des Teufels?«, fragte ich.
»Das ist gut formuliert, ja, das ist so.«
»An was glauben Sie denn eigentlich?«, fragte ich weiter.
»An das Schlechte, das Destruktive, an zerstörerische Kräfte, an das tiefe Tal aller Demütigungen, an die tägliche Normalität der sexuellen Knechtungen, an menschliche Geilheit. Dazu würden mir noch viele Dinge einfallen. Ausgeschlossen nenne ich die christliche Moral, die christliche Ethik, die christlichen Grundsätze, alles, was mit dem so genannten lieben Gott zusammenhängt. Der erscheint mir in einem lächerlichen Zustand und ohne Kompetenzen.«
»Dann leben Sie hier aber doch in totaler Isolation!«, wandte Rodenstock schnell ein. »Wie reagieren denn Ihre Nachbarn auf solch einen blühenden Unsinn?«
»Sie sagen Unsinn, ich sage, es ist mein Glaube.« Er hob die Stimme nicht, wurde nicht bissig, klang eher herablassend. »Sie können Ihren Gott nicht beweisen, das Böse aber kann ich beweisen, jeden Tag und jede Stunde. Und es ist immer stärker als Gott, wenn ich das einmal erwähnen darf.«
»Sagen Sie«, begann ich vorsichtig, »da war doch einmal ein kleiner Junge, der Imre Kladisch hieß. Er hatte Geschwister, er hatte Eltern, er ging in eine Schule. Was ist mit dem passiert, dass er mir heute so ungeheuer brutal kommt?«
»Der kleine Junge wurde ein Realist«, sagte er lächelnd.
»Sie haben eine gute und klare Sprache, Sie können formulieren, sie haben denken gelernt. Sie wirken geradezu erschreckend erwachsen. Ich nehme an, Sie haben ein Gymnasium besucht und dann studiert. Ist das richtig?« In Rodenstocks Stimme war eindeutig ein Hauch von Verachtung.
»Das ist richtig. Ich habe Philosophie studiert. Aber nicht promoviert und nicht mit irgendeinem Titel abgeschlossen, obwohl man so ein Studium ohnehin nicht abschließen kann. Wann kann man Philosophie abschließen, sie ist doch ein stetiger Prozess?«
»Demnach haben Sie Schopenhauer gründlich gelesen?«, fragte Rodenstock weiter.
»Aber selbstverständlich. Unter anderem.« Er wirkte herablassend.
»Darf ich den Gedankengang von Herrn Baumeister fortführen und nach Ihren Eltern fragen?«
»Das sind brave Leute, weitere Auskünfte gebe ich nicht.«
»Haben Sie sich von denen getrennt?«
»Sagen wir so: Manchmal besuche ich sie.«
»Wovon leben Sie?«, fragte ich.
»Die Frage ist zu persönlich, darauf werde ich nicht antworten.«
»Heißt das, dass Sie keinen Beruf haben?«
»Das ist zu persönlich,
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