Sigma Force 05 - Das Messias-Gen
dass er in diesem Raum zu sich gekommen war.
Der kleinere der beiden Jungs spürte sein wachsendes Unbehagen. Er trat vor, seine blauen Augen funkelten im Licht der Stiftleuchte. Monk - wenn das sein Name war - spürte, dass der Junge mehr über ihn wusste als er selbst. Wie zur Bestätigung schaute ihm das Kind tief ins Herz und sprach die beiden Worte aus, die es vermochten, ihn vom Bett hochzubringen.
Der Junge streckte die kleine Hand zu ihm aus und spreizte die Finger, um sein Anliegen zu verdeutlichen. »Rette uns!«
5
5. September, 21:30 Washington, D.C.
»TSCHERNOBYL?«, FRAGTE ELIZABETH. »Was hatte mein Vater denn dort verloren?«
Über den Couchtisch hinweg schaute sie die beiden Männer an. Sie saß in einem Sessel, mit dem Rücken zu einem Panoramafenster, durch das man den bewaldeten Rock Creek Park sah. Nach der Flucht aus dem Museum waren sie hierhergefahren. Gray hatte von einem sicheren Zufluchtsort gesprochen, doch sicher fühlte sie sich deswegen noch lange nicht. Sie hatte das Gefühl, es habe sie in einen Spionagethriller verschlagen. Der Charme des Hauses - ein zweigeschossiges Craftsman Fertighaus aus Ziegelsteinen, verkleidet mit polierter Eiche - hatte sie jedoch beruhigt.
Wenigstens ein bisschen.
Nach der Ankunft hatte sie sich minutenlang die Hände gewaschen und sich Wasser ins Gesicht gespritzt. Trotzdem roch ihr Haar noch immer nach Rauch, und unter den Fingernägeln saß Farbe. Anschließend hatte sie sich auf die Kommode gesetzt, die Hände vors Gesicht geschlagen und fünf Minuten lang versucht, sich einen Reim auf die letzten Stunden zu machen. Erst als ihre Hände nass wurden, wurde
ihr bewusst, dass sie weinte. Das war alles zu viel für sie. Sie hatte noch keine Gelegenheit gehabt, den Tod ihres Vaters zu verarbeiten. Obwohl an den Fakten nicht zu rütteln war, fiel es ihr schwer, sich mit der Realität abzufinden.
Erst einmal brauchte sie ein paar Antworten.
Die drängenden Fragen hatten sie schließlich veranlasst, das Bad zu verlassen.
Sie beäugte den Neuankömmling über den Tisch hinweg. Gray hatte ihn als seinen Chef vorgestellt, Direktor Painter Crowe. Sie musterte ihn. Seine Gesichtszüge waren eckig, seine Haut sonnengebräunt. Als Anthropologin erkannte sie das Erbe der amerikanischen Ureinwohner in seinen Augen - trotz deren eisblauer Farbe. Das dunkle Haar reichte ihm knapp übers Ohr, die kleine weiße Strähne darin glich einer Reiherfeder.
Gray saß neben ihm auf dem Sofa und blätterte in einem Stapel Papiere, der auf dem Tisch lag.
Ehe jemand ihre Frage beantworten konnte, kam Kowalski auf Strümpfen aus der Küche zurück. Seine frisch polierten Schuhe standen auf dem kalten Kamin. »Hab ein paar Ritz-Cracker gefunden und etwas, das wie Käse aussieht. Bin mir aber nicht sicher. Aber es war Salami da.«
Er beugte sich vor und stellte das Tablett vor Elizabeth auf den Tisch.
»Danke, Joe«, sagte sie, froh über diese schlichte und reale Geste inmitten all der Geheimnisse.
Der große Mann errötete ein wenig um die Ohren herum. »Schon gut«, brummte er und richtete sich wieder auf. Er zeigte aufs Tablett, denn anscheinend hatte er vergessen, was er sagen wollte. Dann inspizierte er wieder seine Schuhe.
Painter straffte sich und lenkte damit Elizabeths Aufmerksamkeit auf sich. »Was Tschernobyl betrifft, so wissen wir nicht, weshalb Ihr Vater dort war. Wir haben seinen Pass
überprüft. Für die Region liegt kein Visumeintrag vor, auch nicht für die Rückkehr in die Vereinigten Staaten. Wir müssen davon ausgehen, dass er mit falschem Pass gereist ist. Der letzte bestätigte Hinweis auf eine Reise liegt fünf Monate zurück. Da ist er nach Indien geflogen. Wo er sich anschließend aufgehalten hat, wissen wir nicht.«
Elizabeth nickte. »Dort war er häufig. Mindestens zweimal im Jahr.«
Gray merkte auf. »In Indien. Weshalb?«
»Es handelte sich um ein Forschungsstipendium. Als Neurologe hat er die biologischen Grundlagen des Instinkts erforscht. Er hat mit einem Professor der Universität Mumbai zusammengearbeitet.«
Gray blickte seinen Chef an.
»Ich überprüfe das«, sagte Painter. »Aber es ist mir bereits bekannt, dass Ihr Vater sich mit Instinkt und Intuition befasst hat. Das war auch der Grund, weshalb er mit den Jasons in Kontakt gekommen ist.«
Diese Bemerkung war an Gray gerichtet, doch als die Organisation erwähnt wurde, spannte Elizabeth sich an. Sie vermochte ihren Abscheu nicht zu verhehlen. »Was wissen Sie über die
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