Signal: Roman (German Edition)
Sie fand es irgendwie beruhigend, vor einer Treppe und nicht vor einemFahrstuhl zu stehen. Je weniger Technologie es in dem Gebiet gab, in das sie vordrangen, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass sie die innere Sicherheit alarmierten. Dasselbe galt auch in jedem Krankenhaus.
Als sie alle drei auf dem obersten Treppenabsatz standen, wurde es ganz schön eng. Nachdem sich die geschwungene Metalltür hinter Gwi wieder geschlossen hatte, bedeutete er ihnen, ihm zu folgen, und stieg die Treppe hinunter. Er musste sie nicht auffordern, leise zu sein. Trotzdem konnte es Whispr nicht lassen und musste eine Frage stellen.
»Sie haben gesagt, dass die Energiezufuhr zu jedem Sektor für zwei bis drei Minuten unterbrochen wird. Was wäre passiert, wenn wir die Tür vor dieser Zeit geöffnet hätten?«
Ihr Führer warf ihnen über die Schulter einen Blick zu, und seine Antwort war ein leises Murmeln. »Höchstwahrscheinlich hätte uns das Sicherheitspersonal der Firma inzwischen in Gewahrsam genommen. Jeder Alarm auf der Ostseite der Anlage wäre gleichzeitig losgegangen.«
Whispr nahm die Antwort mit finsterer Miene zur Kenntnis. »Nur so aus Neugier: Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
Gwi grinste ihn an. »Noch etwa zehn Sekunden, würde ich sagen. Und jetzt haben wir erst mal genug geredet.«
Das musste er Whispr nicht zwei Mal sagen. Der dünne Meld sah vor seinem inneren Auge bereits, wie Ingrid und er auf den Boden geworfen, gefesselt und in die hiesige Version eines SAHV -Verhörzimmers gebracht wurden. Zehn Sekunden …
Das Hinabsteigen der Treppe war bei Weitem nicht so schlimm wie das Laufen über Geröll und Felsen im Sanbona-Reservat, aber als der San eine Hand hob und sie aufforderte, stehen zu bleiben, pochte und kribbelte es in Ingrids Knienund Beinen nach der Anstrengung. Aufgrund des schwachen Lichts und der Gedanken an eine Entdeckung hatte sie gar nicht erst versucht zu berechnen, wie weit sie sich unter der Erde befanden. Sie fragte Whispr danach.
»Etwas mehr als ein paar Stockwerke, aber immer noch höher als die Hölle. Besser kann ich es nicht sagen.«
»Ist ja auch egal.« Das Adrenalin in ihrem Körper überwog die Erschöpfung. »Wir haben es geschafft, Whispr. Wir haben es wirklich geschafft! Wir sind in Nerens.«
»Hurra«, murmelte er wenig begeistert. »Juchhu. Wir wissen nicht mal, in welchem Teil der Anlage wir uns befinden, nur, dass er tief unter der Erde liegt. Der Weg von Savannah bis hierher war der ›leichte‹ Teil. Jetzt müssen wir noch ins Forschungszentrum gelangen. Ich hoffe, du bist bereit, Doktor zu spielen, Doc.«
Ihr Körper versteifte sich. »Ich muss nicht Doktor ›spielen‹, Whispr.«
Er schniefte. Anstelle von Zuversicht konnte er nur mit seinem Fatalismus aufwarten. Insgeheim wünschte er sich, jetzt ein paar Drogen bei sich zu haben. »Du weißt, was ich meine. Du wirst den Leuten vormachen müssen, dass du eine der Angestellten bist.«
»Das wird leichter, als dich als medizinischen Assistenten auszugeben.«
Er grinste. »Ich könnte mich als dein wandelndes Demonstrationsmodell ausgeben.«
»Dann solltest du darauf hoffen, dass ich nie den Wunsch nach einer Sezierdemonstration verspüre.«
»Warten Sie hier.« Ohne weiteren Kommentar lief Gwi einen langen, schwach beleuchteten Gang entlang, der von Rohren und Leitungen gesäumt war, die teilweise so dick waren, dass ein Mensch hineingepasst hätte. Aus einigen tropfte Wasser. Ein seltsames, fremdartiges Gefühl legte sich langsam wie ein Schleier über die wartende Ingrid. Sie brauchte einen Augenblick, bis sie es identifiziert hatte.
Ihr war kalt. Hier in der Mitte der ältesten Wüste der Welt begann sie zu zittern. Die Temperatur schien Whispr nicht zu stören. Dünn, wie er war, hätte er die Kälte eigentlich noch viel mehr spüren müssen. Vielleicht hielt ihn seine Angst warm, dachte Ingrid.
Die Minuten wurden zu Stunden. Sie setzten sich hin und redeten, sie zitterte und weigerte sich trotzdem, das Offensichtliche zu akzeptieren und Whispr zu bitten, sich näher zu ihr zu setzen oder ihre thermosensitive Decke aus dem Rucksack zu holen, aus Angst, dass sie schnell wieder aufbrechen mussten. Außerdem bezweifelte sie, dass sein Körper mehr Wärme abgab, als es seine Persönlichkeit tat.
Mit dem Schlaf kam die Erlösung. Als sie sich auf den Boden legte und ihren Rucksack als Kopfkissen nahm, fror sie noch immer, spürte es aber nicht mehr. Whispr beobachtete sie und wusste wieder,
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