Silber
der beste Weg. Er wünschte sich, Lethe mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben, als er ihnen eine Einweisung in die Benutzung des Tischcomputers gegeben hatte. Frost war ziemlich sicher, dass er sich damit die Bilder der versteckten Kameras in sämtlichen Räumen des Anwesens ansehen konnte, aber er hatte nicht die geringste Ahnung, wie er das anstellen sollte. Wahrscheinlich würde er eher die Sprinkleranlage als die Kameras einschalten.
Er war aus einem bestimmten Grund in den Kontrollraum gekommen. Lethe hatte diesen Ort als eine digitale Festung angelegt. Von hier aus konnte Frost die verwundbarsten Stellen von Nonesuch abriegeln, die Identität der Teammitglieder schützen, und, noch wichtiger, die ihres Kostenträgers. Er konnte auch einzelne Bereiche des Hauses isolieren. Er drückte die Paniktaste. Es gab keine Sirenen oder Blinklichter. Das war für Lethes Zwecke nicht notwendig. In weniger als zehn Sekunden würde das Herrenhaus eine stählerne Falle sein. Er hörte das Dröhnen und spürte die Erschütterungen, als zentimeterdicke Stahlplatten in Position bewegt wurden. Sie waren an verschiedenen, strategisch wichtigen Stellen des Hauses in das Mauerwerk eingelassen und verschlossen die Seitenflügel, einige Schlüsselräume und sämtliche Ausgänge. Jetzt gab es keinen Weg mehr aus Nonesuch heraus oder hinein. Diesmal waren die Geräusche mit Sicherheit im ganzen Haus zu hören, doch solange der Eindringling Max nicht die Augen aus dem toten Kopf gerissen hatte, besaß Frost den einzigen Schlüssel: seine eigenen, hellblauen Augen.
Diese Vorrichtung passte gut zu Lethes Hang für das Theatralische. Das ganze Konzept der Netzhautscanner sah Frost ein bisschen zu sehr nach
Blade Runner
aus, und die verborgenen Stahltüren hätten genauso gut auf dem Todesstern zum Einsatz kommen können. Momentan konnte er allerdings schlecht leugnen, wie genial diese beiden Einrichtungen waren. Wenn der Junge hier seine eigenen Film-Sets nachbauen wollte, so sollte er seinen Willen haben. Feststand, dass nun niemand mehr Nonesuch verlassen konnte, wenn er nicht die richtige Iris im Auge hatte.
Nachdem er das Gebäude abgeriegelt hatte, musste er eine Entscheidung treffen: er konnte entweder nach unten zu Lethe oder in den ersten Stock zum Alten gehen. Er hatte nur ein Motorrad und ein Paar Fußspuren entdeckt, was ihn auf einen einzelnen Eindringling schließen ließ. Die Tatsache, dass er aus dem Zimmer des Alten Stimmen gehört hatte, nahm ihm die Entscheidung schließlich ab.
Er verließ den Raum.
Er hatte weniger als dreißig Sekunden darin verbracht, die Zeiger der alten Standuhr hatten sich nicht bewegt.
Der Haupteingang war nun durch eine dicke Metallplatte versperrt. Sie hatte sich durch Max geschnitten, und es war kein sauberer Schnitt. Frost wusste, dass Max ihm vergeben würde, wenn er seinen Mörder dadurch an der Flucht hindern konnte.
Frost hörte die Stimmen wieder, sie waren jetzt lauter. Der Alte und eine Frau. Der Alte flehte sie an. Frost zögerte keine Sekunde.
Er rannte zum Studierzimmer des Alten.
„Was zum Teufel war das?“, fuhr die Frau ihn an. Das Echo der Stahlplatten, die an ihren Platz glitten, hallte durch den Boden.
Sir Charles lächelte. Frost war angekommen. Damit gab es wieder Hoffnung, dass er doch noch mit heiler Haut davonkam; und wenn nicht, konnte er sich wenigstens mit dem Gedanken trösten, dass seine Mörderin nicht einfach in der Nacht verschwinden würde. Jetzt hing alles von der Frau ab, und davon, ob ihr Mitgefühl stärker war als ihr Killerinstinkt. Auch wenn es keine sehr sichere Angelegenheit war, spielte er die letzte Karte aus, die er noch hatte – die Hilfloser-alter-Krüppel-Karte. Mit ein bisschen Glück würde sie ihn unterschätzen, oder sein Geschwafel konnte Frost genug Zeit verschaffen, um sie zu finden. „Die Bat-Höhle“, sagte der Alte.
Er hatte den Stuhl soweit herumbugsiert, dass er ihr Gesicht nicht mehr im Spiegel sehen konnte. Das brachte den Vorteil, dass sie sein Gesicht ebenfalls nicht mehr sehen konnte. Der Alte drehte fest am linken Rad seines Rollstuhls, keilte seinen Fuß unter der Bettkante fest, zog dann mit der Rechten am zweiten Rad und brachte den Rollstuhl ein kleines Stück aus der Balance. Er lehnte sich nach vorn, stürzte aus dem Rollstuhl und landete der Länge nach auf dem Teppich. Der Rollstuhl fiel über ihn.
Er zog sich unter dem Stuhl hervor und kam auf der Fensterseite des Bettes wieder zum Vorschein. Sein Gehstock
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