Silberband 070 - Gehirn in Fesseln
versetzen.
Während er durch die Gänge wanderte, spürte er, daß Sympathie für das erworbene Gehirn in ihm aufstieg. Der Fremde in seinem Behälter war noch einsamer als Doynschto der Sanfte.
Doynschto blieb stehen. Die Stille rings um ihn ließ ihn klarer denken als gewöhnlich. Plötzlich empfand er die Anwesenheit des fremden Gehirns als bedeutungsvoll. Eine Ahnung von Ereignissen jenseits seines Begriffsvermögens überkam ihn. Es war, als wollte aus dem Nichts eine Stimme zu ihm sprechen und ihn mit dem Hauch der Erkenntnis berühren. Dieser Eindruck war so deutlich, daß der alte Yaanztroner unwillkürlich zusammenzuckte. Das Gefühl ging so schnell vorüber, wie es gekommen war.
Doynschto fragte sich, was diese ungewohnte Nervosität in ihm auslöste. Hing es mit diesem Ceynach zusammen?
Er erreichte das Experimentierlabor. Damit ihn das Gehirn nicht hören konnte, öffnete er die Tür lautlos und schlich sich an den Tisch heran.
Da lag es in seinem Behälter und pulsierte schwach. Ab und zu bewegte es sich stärker. Es schien zu träumen.
Fast eine Stunde lang stand Doynschto vor dem Gehirn, um es zu beobachten. Dann gab er sich einen Ruck und schaltete den Sehmechanismus ein, der mit den Nervenenden des Gehirns gekoppelt war. Das Gehirn erwachte sofort.
»Da bin ich«, sagte Doynschto einfach.
Er trat zurück, damit das Gehirn sich besser im Labor umsehen konnte. Hoffentlich waren dem Fremden all diese Geräte und Instrumente nicht unheimlich.
»Es ist jetzt Nacht auf dieser Seite des Planeten«, fuhr Doynschto nach einiger Zeit fort. Er sprach absichtlich mit sanfter Stimme, um das Gehirn nicht zu erschrecken. »Ich hoffe, daß Sie sich mit der neuen Situation abgefunden haben.«
»Was meinen Sie?« erkundigte sich das Gehirn.
»Nun«, sagte Doynschto, »die Ruhepause ist vorüber. Ich werde mich in den nächsten Tagen ausschließlich mit Ihnen beschäftigen.«
»Experimente«, sagte das Gehirn angewidert.
»Ich verstehe Sie nicht«, meinte Doynschto. »Schließlich geschieht es auch in Ihrem Interesse.«
»Was haben Sie vor?« fragte der Fremde, der sich Danro nannte, der aber, davon war der Paratransplantator überzeugt, einen anderen Namen trug.
»Ich werde Ihr Gehirn zunächst in einen Körper einpflanzen.«
Nun schwieg das Gehirn. Doynschto nahm an, daß es zufrieden war.
»Ich kann mir vorstellen, daß Sie bestimmte Vorstellungen von der Beschaffenheit Ihres neuen Körpers haben«, fuhr Doynschto fort. »Doch darauf kann ich vorläufig keine Rücksicht nehmen.«
Er entfernte sich vom Behälter und öffnete die Tür zum Nebenraum. Nachdem er das gesamte Labor durchquert hatte, erreichte er die Krankenstation. Hier gab es zahlreiche Wesen, die bereits seit längerer Zeit auf ein neues Gehirn warteten. Ihre Körper waren trotz des hohen Alters gesund, doch ihre Gehirne arbeiteten längst nicht mehr einwandfrei. Einige Patienten waren wahnsinnig geworden oder zu einer animalischen Verhaltensweise übergegangen.
Ein schmaler Gang führte an den Zimmern vorbei, in denen die gefährdeten Kranken lagen. Die Wände waren einseitig transparent, so daß Doynschto die Patienten sehen konnte, ohne daß sie etwas von seiner Anwesenheit ahnten. Es waren viele Bordins hier, aber auch Yaanztroner, Kerbarer und Marvorden. Die meisten schliefen.
Vor Tectos Zimmer blieb der Wissenschaftler stehen. Der über zwei Meter große alte Bordin war wach. Er starrte gegen die Decke. Er näherte sich dem Zustand völliger Apathie. Die noch gesunden Fragmente des Gehirns waren nicht mehr in der Lage, diesen mächtigen Bordinkörper zu beherrschen.
Doynschto trat in das Zimmer. Neben dem Lager des Kranken blieb er stehen.
»Erkennst du mich noch, Tecto?«
Die Augen des Bordins bewegten sich. Doynschto hatte den Eindruck, daß sie durch ihn hindurchsahen, doch dann wurden sie feucht und weiteten sich.
»Doynschto der Sanfte«, sagte der Kranke schwerfällig.
»Hm!« machte der Paratransplantator. »Wie geht es dir?«
»Das sehen Sie doch«, erwiderte der Kranke verdrossen. »Es ist ein Wunder, daß ich noch denken und sprechen kann. Aber auch damit wird es in ein paar Tagen vorbei sein.«
»Nicht, wenn du ein neues Gehirn bekommst«, sagte Doynschto leichthin.
Tecto hob den Kopf. Er begann zu zittern, dann ließ er sich kraftlos wieder zurücksinken.
»Quälen Sie mich nicht!« bat er. »Machen Sie mir keine Hoffnung. Ich habe mich inzwischen damit abgefunden, daß ich nur zu Experimentierzwecken hier
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