Silberband 076 - Raumschiff Erde
wurde der sonnennächste Planet für ihn zur tödlichen Falle. Meine Befürchtung war nach wie vor, daß er es auf den Gezeitenwandler abgesehen hatte. Der Wandler war durch vielfältige energiereiche Feldschirme gegen die Umgebung abgesichert. Er konnte nur vernichtet werden, wenn der ganze Planet zerstört wurde. Hatte ich mich trotz allem in Myrianad getäuscht? War er bereit, sein Leben zu opfern, nur um das Versteck der Erde in der variablen Zukunft zu zerstören?
Ich weigerte mich noch immer, den Überschweren für derart heroisch zu halten. Viel plausibler erschien mir die Annahme, daß es sich bei dem, der den Sprung gewagt hatte, gar nicht um Myrianad handelte, sondern um einen seiner Untergebenen, vielleicht sogar einen Roboter. Für uns spielte das allerdings keine Rolle. Wer auch immer es sein mochte, der dort auf Merkur gelandet war – wir mußten ihn daran hindern, sein Ziel zu erreichen. Ich hängte mich von neuem an den Hyperkom, während auf dem Bugschirm die Sichel des Merkur mit beängstigender Geschwindigkeit anschwoll.
»Servomechanismus Gezeitenwandler – Berechtigungsklasse eins!«
»Hier Servomechanismus Gezeitenwandler. Ihre Sendung wird empfangen.«
»Ein feindlicher Agent wurde beobachtet, als er sich per Transmitter auf Merkur absetzte. Es ist zu vermuten, daß der Agent beabsichtigt, den Gezeitenwandler zu beschädigen oder zu zerstören. Äußerste Wachsamkeit ist daher erforderlich!«
»Empfang der Sendung wird bestätigt«, antwortete der Servomechanismus, nachdem er meinen Text wiederholt hatte. »Alarmstufe eins ist aktiviert.«
»Ende«, sagte ich und schaltete aus.
Efrem Marabor schob mir eine hastig angefertigte Skizze zu. »Wir bekamen eine ziemlich genaue Peilung«, sagte er. »Der Ort, an dem die Transmitterstrecke endete, liegt auf der nördlichen Merkurhalbkugel, auf etwa vierzig Grad Breite, inmitten der Zwielichtzone.« Er deutete auf ein paar undeutliche Krakel. »Das hier sind die Newton-Berge, ein unübersichtliches Gelände. Wenn wir den Kerl dort suchen müssen, haben wir was zu tun!«
Ich starrte vor mich hin. Die Sache wurde immer rätselhafter. Merkur war kein großer Planet. Aber jemand, der zum Nordpol wollte und auf dem vierzigsten nördlichen Breitengrad landete, hatte noch ein ganz schönes Stück zu marschieren. Hatte der Pariczaner sein Ziel verfehlt? War der Transmitter ungenau justiert gewesen – oder bestand die Möglichkeit, daß überhaupt alle unsere Überlegungen falsch waren? Daß der Eindringling eine ganz andere Absicht verfolgte, als wir dachten?
»Übrigens«, sagte Marabor, »der Transmitterimpuls war ziemlich kräftig. Da wurde mehr als ein Mann transportiert. Ich schätze die Transportmasse auf rund eine Tonne.«
Das wurde ja immer schöner! Eine Tonne, das war die Masse von etwa drei bis vier Überschweren. Waren mehrere Pariczaner auf Merkur gelandet? Oder bestand die überschüssige Masse aus Gerät, vielleicht aus Bomben?
»Wir sehen an Ort und Stelle nach!« entschied ich grimmig. »Halten Sie Kurs auf die Newton-Berge, Marabor!«
Merkur, ein kleiner Planet von wenig mehr als fünftausend Kilometern Durchmesser, drehte sich während einer Umdrehung um die Sonne, also während eines Merkur-Jahres, einmal um die eigene Achse. Das führte dazu, daß er der Sonne stets dieselbe Seite zuwandte. Auf der Sonnenseite herrschten Temperaturen, bei denen Blei schmolz. Auf der Nachtseite dagegen regierte die Eiseskälte des Weltalls mit Werten um minus 180 Grad.
Die Verhältnisse wären noch extremer gewesen, hätte der Planet nicht eine dünne, aber dennoch ausgleichend wirkende Wasserstoffatmosphäre besessen. Sie trug dazu bei, daß wenigstens in jenem Landstrich, wo Sonnen- und Schattenseite aneinandergrenzten, ein gewisser Temperaturaustausch stattfand. Diese sogenannte Zwielichtzone war es, in der der pariczanische Agent sich abgesetzt hatte. Sein Ziel war das Newton-Massiv gewesen, ein annähernd kreisförmiger Gebirgsstock von achtzig Kilometern Durchmesser, mit tief eingeschnittenen Schluchten und himmelstürmenden Berggipfeln.
Seit knapp einer Stunde etwa hing die SISTINA mit gedrosselten Triebwerken fünfzig Kilometer hoch über den Newton-Bergen. Wir hatten unsere Aufmerksamkeit geteilt. Ein paar Leute behielten den interplanetarischen Raum im Auge, wo die Raumschlacht auf der Höhe der Venus-Bahn allmählich in Gang kam. Die Mehrzahl jedoch verfolgte die Anzeichen der Meßinstrumente und versuchte, irgendwo eine
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