Silberband 090 - Gegner im Dunkel
nicht eben langsam, ist nicht zu übersehen.«
Die Polizistin holte eine Infrarotoptik aus dem Gleiter und verfolgte den Weg des Mannes zurück. Minuten später projizierte sie die Aufnahmen auf dem Holoschirm. Verris Kishtan stand mit hängenden Schultern dabei und schwieg.
»Das ist eindeutig. Sie haben den Mann beim Wildern überrascht. Aber auf Ihren Annäherungsversuch ging er nicht ein. Sie haben ihn dennoch bedrängt und wahrscheinlich gar erpresst.«
Verris zitterte.
»Er ist vor Ihnen geflüchtet. Also haben Sie ihn verfolgt und in die Schlucht getrieben.«
»Das wollte ich nicht. Ich habe noch versucht, ihn zurückzuhalten.«
»Dennoch ist er nun tot«, stellte die Polizistin unnachsichtig fest. Sie schwang sich wieder in den Gleiter. »Die Zentralpositronik hat mitgehört. Das Urteil wird sofort gefällt, Miss Kishtan. – Sie haben einen Mann getötet!«
»Es war ein Unglücksfall.«
»Spielt das eine Rolle?«
»Bitte …«
»Versuchen Sie nicht, mit mir zu diskutieren«, erwiderte der Commander. »Ich bin nur ausführendes Organ. Achtzig Prozent aller Frauen auf Ovarons Planet haben sich dafür ausgesprochen, dass eine Frau sterben muss, die den Tod eines Mannes verschuldet.«
»Ich bin nicht schuldig!«
Aus dem Gleiter ertönte ein Glockenzeichen. Verris Kishtans Augen füllten sich mit Tränen. Wie aus weiter Ferne hörte sie die Worte, die von der zentralen Positronik in der Hauptstadt Hildenbrandt formuliert wurden: »Verris Kishtan ist für schuldig befunden worden. Sie hat den Tod eines Mannes verursacht. Das Opfer wurde inzwischen als Neutrino-Ingenieur Welker Kora von Bord der PHARAO identifiziert. Nachweislich konnte festgestellt werden, dass die Angeklagte ihr Opfer in den Abgrund getrieben hat. Dabei ist unwesentlich, ob diese Tat absichtlich oder unabsichtlich geschah. Das Urteil wird nach Paragraf 1075 der Ovaron-Ordnung gesprochen: Verris Kishtan wird den gleichen Tod sterben wie Welker Kora. Leben um Leben – wie es in der Volksabstimmung vom 10. Oktober des Jahres 3560 verlangt wurde. Eine separate Gerichtsverhandlung findet nicht statt, da die Fakten eine eindeutige Verurteilung durch die Zentralpositronik erlauben. Ovarons Planet, Hildenbrandt am 14. April 3582.«
»Nein«, ächzte Verris Kishtan. »Bitte, lassen Sie mich laufen!«
Die Polizistin war ebenfalls blass geworden, obwohl sie mit einem solchen Urteil gerechnet hatte. »Ich kann nicht anders, Verris Kishtan. Ich bin dem Gesetz verpflichtet.«
»Wird dadurch der Mann wieder lebendig?«, fragte die Verurteilte schrill.
»Nein, aber das ändert überhaupt nichts an meinen Pflichten. Ich hasse mich selbst für das, was ich tun muss, nur … ich kann nicht anders.«
»Wie heißen Sie?«
»Kayla Hildenbrandt.«
»Hildenbrandt? Ich verfluche Sie in die tiefste Hölle des Universums.«
Die Polizistin zog ihren Paralysator. »Schließen Sie die Augen!«, befahl sie.
Verris Kishtan gehorchte. Ihre Lippen bebten.
Kayla Hildenbrandt löste den Paralysator aus. Kishtan fiel steif zu Boden. Die Polizistin stieg in den Gleiter und schob die Verurteilte mit Hilfe eines Antigravprojektors über die Kante des Abhangs hinaus. Sie aktivierte die Optik, dann hob sie das Antigravfeld auf. Verris Kishtan stürzte in die Tiefe.
Kayla Hildenbrandts Augen waren von Tränen erfüllt. Sie beachtete den Videoschirm nicht, auf dem der fallende Körper zu sehen war, sondern wartete, bis sie sicher sein konnte, dass alles vorbei war. Ihre Hände zitterten.
»Hätte ich dich doch niemals entdeckt, Verris«, wimmerte sie. »Warum musste ich mich ausgerechnet hier herumtreiben?«
Sie startete den Gleiter und ließ ihn langsam an der Felswand entlang absinken. Als sie sah, was aus Verris Kishtan geworden war, erschauerte sie. Mit unmenschlicher Kraft zwang sie sich, die Körper des Mannes und der Frau mit Hilfe ihres Desintegrators aufzulösen. Dabei richtete sie die Optik vorschriftsmäßig auf die Toten, um einen einwandfreien Bericht abgeben zu können.
»Ich möchte Mayk Terna sprechen«, sagte Kayla Hildenbrandt.
Die Sekretärin schüttelte den Kopf. »Die Administratorin hat zu tun. Es geht nicht.«
»Ich bestehe darauf!«
»Warum?«
Kayla Hildenbrandt sagte es ihr. Die Sekretärin blickte sie überrascht an. »Das ist nicht Ihr Ernst?«
»Lassen Sie mich jetzt vor?«
»Wie Sie wollen. Ich melde Sie an.«
Über einen schmalen Gang erreichte Kayla das Arbeitszimmer der Administratorin. Mayk Terna saß groß und massig
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