Silberband 090 - Gegner im Dunkel
anpeilen würde. Es war nichts dabei, und ich konnte auch keinen Gegenstand entdecken, von dem ich bisher nichts gewusst hatte.
Deshalb betrat ich seine so genannte Wohnzelle. An die hier herrschende Unordnung war ich längst gewöhnt. Wäre Rorvics elektronische Gebetsmühle verschwunden gewesen oder sein Gebetsteppich, hätte ich daraus geschlossen, dass er von dem fremden Ort zurückgekehrt war, um diese Gegenstände zu holen. Aber es war alles da, sogar sein scheibenförmiges Amulett.
Nachdenklich musterte ich das Bhavacca Kr’a. Die Tatsache, dass er es nicht bei sich trug, vergrößerte meine Besorgnis.
Im Nabel einer Buddhafigur erblickte ich etwas Glitzerndes, das bei meinem letzten Besuch in Rorvics Kabine noch nicht dort gewesen war. Zuerst dachte ich, es handelte sich um Beryll in Edelsteinqualität, also um das, was für gewöhnlich Smaragd genannt wird, doch dann wurde mir klar, dass kein Smaragd, und sei er noch so gut geschliffen, derartig funkeln und strahlen konnte wie dieser grüne Kristall im Bauchnabel der Buddhafigur.
Ich streckte die rechte Hand aus und berührte ihn. Im nächsten Augenblick lag der Edelstein in meiner Hand. Doch da stand ich schon nicht mehr in Rorvics Kabine, sondern in einer halbdunklen Höhle, deren Wände aus schwebenden Schatten zu bestehen schienen …
Bericht Tatcher a Hainu
Ich hatte schon zu viel Ungewöhnliches erlebt, um über den tatsächlichen oder auch nur scheinbaren Ortswechsel zu erschrecken. Deshalb sah ich mich erst einmal um und lauschte auf eventuelle Geräusche. Doch außer den Schatten war nichts zu sehen, und es war auch nichts zu hören, nur mein eigenes Atmen.
Meine Erfahrungen hatten mich gelehrt, dass es oft besser ist, die Gedanken wandern zu lassen und nicht den Körper. Ich bin auch davon überzeugt, dass das Universum sich nicht mit den Händen, sondern nur mit dem Geist begreifen lässt und dass viele Rätsel sich fast von selbst lösen, wenn man dem Verstand die erforderliche Muße gönnt.
Nach einiger Zeit wurde mir klar, dass ich den grünen Kristall nicht mehr in der Hand hielt. Bedeutete dies, dass die Kraft, die mich versetzt hatte, keine Macht über den Stein besaß? Oder dass nur mein Geist in der Höhle weilte, der Illusion unterliegend, ich befände mich körperlich hier?
Ich stutzte. Die Schatten verblassten. Hinter ihnen erkannte ich seltsam vertraut wirkende Umrisse – die Einrichtung von Rorvics Kabine.
Ich sprang auf und eilte auf die letzten Schatten zu, um durch sie hindurch in die Kabine des Tibeters zu gelangen. Aber als ich sie berührte, gab es einen Ruck – und ich stand auf einer grauen Ebene unter einem rötlich leuchtenden Himmel, über den sehr langsam bunt schillernde Kugeln wie Seifenblasen zogen.
Ich wandte mich um. Nach allen Richtungen erstreckte sich die Ebene. Es dauerte eine Weile, bis mir auffiel, dass diese Ebene keinen Horizont hatte. Das war etwas, das es einfach nicht geben konnte.
Ich bückte mich und betastete den Boden. Er fühlte sich nach nichts an – und das war ebenfalls etwas, das es nicht geben durfte. Meine Fingerspitzen stießen zwar auf unnachgiebigen Widerstand, aber ich fühlte weder Wärme noch Kälte, weder Rauheit noch Glätte. Ich richtete mich wieder auf und stampfte mit den Füßen. Es dröhnte dumpf. Aber das ist nur natürlich, wenn die Füße hart auf Widerstand prallen.
Wie kam es, dass ich nicht in die Umgebung gelangt war, die ich hinter den verblassenden Schatten gesehen hatte? Ich schob diesen Gedanken beiseite, als ich mich erinnerte, dass ich Rorvic finden musste. »Rorvic! Dalaimoc Rorvic!«, rief ich, die Hände zu einem Schalltrichter geformt.
Niemand antwortete. Die bunt schillernden Kugeln zogen weiter ihre Bahnen über mir.
»Du leichenhäutiges Scheusal, melde dich endlich!«, rief ich erzürnt – erzürnt in erster Linie darüber, dass ich nicht in der Lage war, erhoffte Reaktionen hervorzurufen.
Ich setzte mich und konzentrierte meine Gedanken auf den seltsamen Kristall. Etwas war mir gleich besonders aufgefallen: seine unbeschreibliche Klarheit, die alles in den Schatten stellte, was ich bisher an anderen Kristallen beobachtet hatte. Ich war mittlerweile sicher, dass es sich nicht um einen Smaragd gehandelt hatte, sondern weit eher um ein Mineral, das weder auf der Erde noch auf einem erdgleichen Planeten entstanden war.
Möglicherweise war der Kristall künstlich hergestellt worden. Vielleicht zu dem Zweck, die Aufmerksamkeit eines
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