Silberband 092 - Das MODUL
seit neuestem ungenießbar«, sagte er. »Mit anderen Worten: Wir müssen wirklich etwas unternehmen!«
Vylma Seigns hatte ihre Schicht gegen Mittag beendet. Nach zwanzig Stunden fast ohne Unterbrechung an ihrem Arbeitsplatz war sie hungrig und durstig, aber in erster Linie müde. Deswegen machte ihr es nicht allzu viel aus, als ihr die Automatik ihres Appartements einen unansehnlichen, übel riechenden Brei servierte und der Getränkespender mit einer undefinierbaren Flüssigkeit aufwartete. Sie kippte beides in den Abfallvernichter, verzichtete auf ein Bad und ging stattdessen sofort zur Ruhe.
Wie lange sie geschlafen hatte, als irgendetwas sie weckte, wusste sie nicht. Jedenfalls fiel es ihr ziemlich schwer, sich zurechtzufinden, und dann sah sie den kleinen, rötlichen Lichtpunkt, der über ihren Füßen schwebte.
Es war einfach nur ein Lichtpunkt. Er stand still. Erst nach einer Weile bewegte er sich summend. Vylma sprang entsetzt auf, aber der Leuchtpunkt folgte ihr und schwebte gleich darauf dicht vor ihr. Vylma wich bis in die Nasszelle aus, aber der Punkt war unbeirrbar. Er folgte ihr.
Das Licht in der Kabine hätte längst aufflammen müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie musste hinaus, auf den Korridor, wo die Beleuchtung funktionierte, und Alarm schlagen!
Doch das leuchtende Ding versperrte ihr den Weg. Als es bis auf wenige Zentimeter herangekommen war, empfand Vylma ein prickelndes Gefühl im Nacken, als sei sie in ein starkes elektrisches Feld geraten. Da packte sie die Panik, und sie schlug auf den unheimlichen Leuchtpunkt ein. Einer ihrer Schläge musste getroffen haben, denn sie spürte jäh einen brennenden Schmerz in der rechten Hand.
Daraufhin zog sich der Punkt zurück. Sein Summen wurde leiser, das prickelnde Gefühl verschwand. Sprachlos verfolgte Vylma Seigns seine Flugbahn. Das leuchtende Etwas verschwand einfach in der Wand.
Fast gleichzeitig wurde die Beleuchtung aktiv. Vylma sank auf die Koje und gönnte sich eine halbe Minute, sich von dem Schreck zu erholen.
Rasch wurde ihr bewusst, dass sie keine sehr plausible Geschichte zu erzählen hatte. Neun von zehn Leuten würden das alles für einen bösen Traum halten, ausgelöst durch Überarbeitung und Erschöpfung. Sie beschloss, sich zuerst an Vigo Hynes zu wenden.
Aber Hynes war schon nicht mehr in der Lage, ihr zu antworten.
Der summende Leuchtpunkt drang durch Wände und Decken hindurch und gelangte auf einen Hauptkorridor, dessen Helligkeit sein Leuchten überdeckte und ihn so gut wie unsichtbar machte. Dicht unter der Decke setzte das winzige Gebilde seinen Weg fort. Unter ihm bewegten sich Menschen, die nichts bemerkten. Von Kontrollimpulsen gelenkt, wandte sich das Objekt in Richtung des Labors, in dem Joscan Hellmut arbeitete.
Der Kybernetiker blickte auf, als er das leise Summen vernahm. Im Labor brannte derzeit nur eine schwache blaue Leuchte, deshalb war der Lichtpunkt deutlich zu erkennen.
Joscan Hellmut stand auf. Sein Blick wich nicht von dem kleinen, rötlich strahlenden Punkt, der nur durch die Wand gekommen sein konnte und sich ihm langsam näherte.
Unwillkürlich formte sich ein Gedanke in Hellmuts Bewusstsein. »Du kommst, um mich zu holen?«
Es überraschte ihn nicht, dass er Antwort bekam. Eine Gedankenstimme, unglaublich fremd in ihrer Artikulation, sprach zu ihm aus weiter Ferne: Ich komme, um dich zum Ersten COMP-Ordner zu machen. Das ist der Wille der Herrscherin, und so soll es geschehen!
Joscan Hellmut neigte den Kopf. »Ich gehorche der Herrscherin«, antwortete er.
Der Leuchtpunkt näherte sich ihm. Ein nie gekanntes Glücksgefühl erfüllte den Kybernetiker. Der leuchtende Punkt schien an ihm vorbeigleiten zu wollen, aber dann senkte er sich auf Joscan Hellmuts Nacken.
Joscan empfand einen kurzen brennenden Stich. Was blieb, waren ein Prickeln und die Empfindung höchsten Glücks. Eine Zeit lang stand Joscan Hellmut starr. Er empfand eine Flut fremder, freundlicher Gedanken, sie waren sanft und trachteten nicht danach, ihn zu unterjochen. Fremdes Wissen und die Erkenntnis fremder Zusammenhänge strömten in sein Gehirn. Joscan Hellmut verstand, was es mit dem Amt des Ersten COMP-Ordners auf sich hatte. Er war von nun an nur noch der Kaiserin von Therm Gehorsam schuldig. Zugleich wurde ihm klar, dass es Konflikte geben würde – vor allen Dingen mit den Menschen an Bord der SOL, die den Willen der Kaiserin nicht verstanden und den COMP als Feind betrachteten.
An ihm, dem Ersten
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