Silberband 096 - Die Gravo-Katastrophe
hatte Bedenken geäußert, das Gehirn eines leblosen Menschen mental zu stabilisieren. Aber er hatte keine Alternative anbieten können.
Daraufhin hatte Jentho Kanthall auf eigenes Risiko angeordnet, die Mentalstabilisierung durchzuführen.
Mittlerweile war die komplizierte, aber im Grunde genommen ungefährliche Prozedur abgeschlossen. Seitdem warteten alle auf das erste Anzeichen, dass Selka aus der Bewusstlosigkeit erwachte.
Der Medoroboter war zu dem Schluss gelangt, dass ihr Zustand nicht das Resultat physiologischer Ursachen sein könne, und hatte zur Hinzuziehung eines Psychoanalysators geraten. Der Analysator, ebenfalls ein Roboter, war seit mehreren Stunden an der Arbeit. Jentho Kanthall, Bilor Wouznell und Sailtrit Martling warteten in einem kleinen Raum neben dem Untersuchungszimmer. Die Verbindungstür öffnete sich, als die Analyse beendet war.
»Die anhaltende Bewusstlosigkeit wird von einem schweren Trauma verursacht«, erklärte der Roboter. »Die Ursache des Traumas konnte nur bedingt erkannt werden. Es handelt sich um die Spur eines Erlebnisses, von dem die Patientin überzeugt war, sie würde es nicht lebend überstehen.«
»Wie geht es weiter?« Jentho Kanthall fühlte sich hilflos.
»Die Daten müssen ausgewertet werden, die Patientin ist in jeder Hinsicht zu überwachen.«
»In Ordnung«, sagte Kanthall. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen sollen. Der Analysator glitt erst auf den Ausgang zu, aber die Tür öffnete sich bereits. Mit allen Anzeichen höchster Erregung stürzte Sante Kanube herein und wäre um ein Haar mit dem schwebenden Roboter zusammengeprallt.
»Funkspruch … vom Mond!«, stieß der Afroterraner hervor.
Kanthall packte ihn bei den Schultern. »Welcher Inhalt?«
»Noch nicht entziffert. Der Spruch ist gerafft, zerhackt, gedreht und was weiß ich alles. Ein Wunder, dass wir ihn überhaupt aufgefangen haben.«
»Was heißt das?«
»Er war nicht an uns gerichtet.«
»Wohin dann?«
»Das wissen wir noch nicht! Walik ist am Rechnen.«
Kanthall stürmte davon. Der Kommunikationsraum lag knapp hundert Meter entfernt. Kanthall fand Kauk, Speideck und Mara Bootes dort. »Was ist los?«, platzte er heraus.
Walik Kauk erstattete Bericht. »Der Empfang sprach plötzlich an. Das Signal war äußerst schwach, knapp ein Dezibel über der Reizschwelle. Der einzige Grund, warum wir das überhaupt mitbekommen haben, ist die Sendefrequenz. Es handelt sich um eine von NATHANs Standardfrequenzen, auf die unser Sensor geeicht ist.«
»Der Spruch war nicht für uns bestimmt? Für wen?«
Kauk hob die Schultern. »Wenn ich das wüsste. Ich kann dir nur die Richtung angeben, in die er ausgestrahlt wurde: Goshmos Castle.«
Jentho Kanthalls Gesicht erstarrte zur Maske. Auf Luna befanden sich Reginald Bull, Roi Danton und Geoffry Waringer. Seit geraumer Zeit wartete jeder darauf, dass sie sich mit Terrania City in Verbindung setzten. Das hatten sie nicht getan. Stattdessen sollten sie jetzt einen Funkspruch zum Nachbarplaneten abgesetzt haben, der im Handumdrehen die Hulkoo-Flotte alarmieren musste?
»Habt ihr den Text?«, fragte er dumpf.
»Kommt soeben …!« Marboo nahm die Druckfolie aus dem Auswurf und las: »Die Möglichkeiten, von Luna aus das Projekt Heimat II zu unterstützen, werden vorläufig noch als gering angesehen.«
Kanthall tippte sich mit der Hand an die Stirn. »Sind die übergeschnappt?«, ächzte er.
Amüsiert verfolgte Grukel Athosien das Geschehen rings um die Schaltzentrale. Er hatte nur wenige Minuten gebraucht, um sein Abhörgerät auf die Frequenz einzupegeln, auf der die Armbandminikoms von Bull, Danton und Waringer arbeiteten. Seitdem hörte er mit.
»Wie lange hält es der Kerl da drinnen eigentlich aus?«, beschwerte sich Danton mürrisch.
»Geduld hat er, das muss man ihm lassen«, entgegnete Bull.
Waringer schlug vor, sich direkt vor Ort umzusehen.
»Lass das lieber sein!«, widersprach Reginald Bull. »Der Mann ist mit allen Wassern gewaschen.«
Danach war es eine Zeit lang still. Der Erste, der sich wieder meldete, war Danton. »Wie lange kann Athosien es ohne Proviant und Wasser aushalten?«, wollte er wissen.
»Ich kenne seinen Rekord nicht«, antwortete Waringer. »Aber fünf bis sechs Tage bestimmt.«
Während Grukel Athosien dem mehr oder weniger munteren Geplauder zuhörte, kam ihm der Verdacht, dass es ihn womöglich nur ablenken sollte. Er war zwar entschlossen, sich den Belagerern auszuliefern, aber unter Bedingungen, die
Weitere Kostenlose Bücher