Silberband 106 - Laire
noch …?«
»Juckte«, half sie ihm aus. »Es kribbelte mir förmlich auf der Zunge, mich einzumischen. Aber das ist natürlich Unsinn. Ich habe zwar verstanden, was du sagtest, ich wusste, was du wolltest, aber es ausdrücken, in Worte fassen, hätte ich nicht gekonnt. Dafür bin ich nicht klug genug.«
»Du verwechselst das mit Bildung, Baya.«
»Das ist dasselbe. Wer nicht gebildet ist, der ist dumm«, sagte Baya altklug und bewies damit, dass sie nicht nur Positives aufgeschnappt hatte.
»Es gibt auch einen anderen Standpunkt, von dem aus gesehen Bildung verderblich wirken kann«, bemerkte Lank-Grohan. »Und für manche Situationen ist eine strenge Erziehung unerwünscht. Du ahnst wahrscheinlich gar nicht, was für ein Glück es für mich ist, dass du völlig unbelastet bist. Dadurch, dass du frei aufgewachsen bist, hast du eine natürliche entelechische Begabung.«
»Das ist ein Wort, das ich mir nicht merken kann!«, rief Baya aus. »Es muss schön sein, entelechisch zu leben.«
»Du kannst es erlernen.«
»Meinst du das wirklich, oder willst du mich verulken?«
»Hast du nicht bemerkt, dass wir Loower immer das meinen, was wir sagen?«
»Ja, richtig, ihr versteht keinen Spaß.«
»Das hat sein Gutes. Und es ist nicht der gravierendste Unterschied zu den Menschen.«
Der gedrungen wirkende Loower und das Mädchen gingen Seite an Seite durch die Gänge des Trümmerturms. Für eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen.
Schließlich sagte Goran-Vran hoffnungsvoll: »Ich denke, mit deiner Hilfe werden wir diesen Unterschied ausmerzen und vielleicht eine Brücke über die Kluft schlagen, die unsere Völker noch voneinander trennt.«
»… und ich befürchte, dass in Psychologievorlesungen zu oft von Ratten und zu wenig von Kindern die Rede ist.«
A.S. Neill , geb. 1883, Terra / Schottland
20.
Ich bin sehr klein und zart und werde allgemein für jünger gehalten, als ich bin. Ist es eigentlich sehr dumm von einer Siebenjährigen zu sagen, dass sie noch jünger wirkt? Ich meine, sieben ist ja kein Alter. Aber die meisten Leute auf der Erde haben mich für fünf gehalten. Und sie haben mich als kränklich und ungesund blass bezeichnet. Wahrscheinlich wird meine Blässe durch das schwarze, lang über die Schulter fallende Haar betont. Kränklich mag ich aussehen, weil meine Augenbrauen dunkel und dicht sind und die Augen tief in den Höhlen liegen. Dabei habe ich große Augen.
Aldina hat vor Kurzem gesagt: »Sieh mal, was für Ringe Baya unter den Augen hat. Sie muss krank sein!« Das war bei einer der wenigen Gelegenheiten, dass mich Aldina genauer angesehen hat. »Sie sieht nicht nur krank, sie sieht zum Fürchten aus«, hat Vater daraufhin konstatiert. Ich hatte vorher nie erlebt, dass er seine Meinung über mich oder meinen Zustand abgegeben hätte.
Früher, als sich Vater und Mutter nicht um mich gekümmert hatten und meine Schwester nur gekommen war, wenn sie etwas von mir brauchte, waren sie mir alle sehr vertraut gewesen, und ich hatte sie gerne gemocht. Jetzt auf einmal waren sie mir fremd. Seit sie mit mir sprachen und sich Gedanken um mich machten, da verstand ich sie nicht mehr.
Wenn Haman früher Kerinnja etwas erklärte und ich dies mitbekam, war eigentlich immer alles klar für mich gewesen. Als er ihr die Unendlichkeit des Universums anhand eines Streifens erklärt hatte, den er um hundertundachtzig Grad drehte und mit den Enden zusammenklebte, bekam ich mit, was er mit der endlosen und in sich gekehrten Fläche meinte. Aber als er nun mit mir redete und mich dabei an sich drückte, da wusste ich einfach nicht, was er meinte. »Arme Baya, was haben die Loower nur mit dir gemacht?«, fragte er. »Ich wünschte, ich könnte mich an deiner Stelle opfern.«
»Was sollen die Loower mit mir gemacht haben?«, fragte ich zurück. Mutter begann daraufhin zu weinen, und für mich wurde alles nur noch unverständlicher. Sie nahm mich aus Vaters Armen und drückte mich ihrerseits ab. Dann war die Reihe an Kerinnja, mich zu drücken.
»Liebes Schwesterchen«, schluchzte sie mir ins Ohr. »Ich hab's ja immer gewusst, dass dein Geist einer stärkeren Belastungsprobe nicht gewachsen sein würde. Aber für dich ist gesorgt. Wir sind alle für dich da.«
Ich war schon immer geduldig, andernfalls hätte ich dieses Getue nicht so gefasst über mich ergehen lassen können. Ich sagte nichts, sondern dachte mir mein Teil. So etwa, dass Lank ein sehr weiser und einfühlsamer Mann war.
Bei Lank hatte
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