Silberband 114 - Die Sporenschiffe
Dessen ungeachtet hatte der Bursche das aufgedunsene Gesicht zu einem Grinsen verzogen, schwärzliche Zahnstummel waren sichtbar.
Einmal mehr wünschte sich der Terraner, das unfehlbare Gedächtnis seines Freundes Atlan zu haben. Irgendwoher kannte er diesen Cowboy. Ihm war klar, dass es sich um ein typisches Trividprodukt handelte; Gestalten dieses Schlages waren seit Jahrhunderten unausrottbarer Bestandteil der Unterhaltungsindustrie.
Der Mann trug fleckige Lederhosen, die in wadenhohen Stiefeln steckten. Am Gürtel baumelten zwei Halfter mit schweren 45er Colts.
Perry Rhodan hätte darauf geschworen, dass er diesem Banditen schon einmal begegnet war. Nicht irgendeinem Burschen, sondern gerade diesem hier, der ihn von seinem erstarrten Schimmel herab angrinste.
»Woher kenne ich dich?«, fragte Rhodan.
Sicherheit schien auf Schamballa großgeschrieben zu werden. Der Terraner hielt es für ratsam, dem Reiter die Waffen abzunehmen. Er griff nach dem Halfter und zog den ersten Colt heraus.
In dem Moment kam in die Statue Leben. »Verdammter Strauchdieb!«, brüllte der Cowboy und trat zu.
Rhodan wurde schmerzhaft getroffen, er taumelte zurück und überschlug sich. Als er wieder in die Höhe kam, sah er den Banditen zum Waffengurt greifen.
Es war nur sein Instinkt, der Rhodan dazu brachte, nicht seinen Kombistrahler zu ziehen. Er hielt noch den altmodischen Colt in der Hand, und der Rückstoß des alten Vorderladers riss seinen Arm in die Höhe.
Der Bandit wurde im Ziehen an der linken Schulter getroffen. Die kinetische Energie des Geschosses fegte ihn aus dem Sattel, und noch im Fallen verflüchtigte er sich. Ein klagender Ton wie ein leises Weinen hing in der Luft, dann war es vorbei.
Rhodan zwinkerte, als die Erinnerungen auf ihn einstürmten. Er kannte diese Szene und war sich sicher, dies alles schon einmal erlebt zu haben.
Der Colt war schwer und echt. Rhodan öffnete die Finger und ließ die Waffe zu Boden fallen. Er wusste, dass er sie nicht wieder brauchen würde.
Er lief weiter.
Schamballa hatte etwas Unwirkliches, als seien die normalen Naturgesetze aufgehoben. Es gab keine Tageszeiten, nur eine immerwährende diffuse Helligkeit. Vermutlich würde sich daran niemals etwas ändern. Perry Rhodan versuchte sich vorzustellen, wie viel Zeit Kemoauc in dieser Umgebung verbracht haben mochte.
Wohin sollte er sich wenden? Er entschied sich dafür, ins Gebirge zu gehen. Unterwegs hatte er viel Zeit, um nachzudenken.
Wie hatte es Kemoauc so lange Zeit in dieser Einöde ausgehalten? Oder war diese Welt erst seit Kurzem so trostlos?
Er kannte die Grundlagen nicht, nach denen diese Wirklichkeit funktionierte. Floss das Wasser bergauf oder bergab? Im Normaluniversum war diese Frage eindeutig zu beantworten, hier nicht. Es war denkbar, dass in einer Materiesenke andere Gesetzmäßigkeiten existierten, dass Wasser brannte und Feuer bergauf floss.
Als Rhodan sich mehr zufällig als absichtlich umwandte, sah er den Cowboy wieder. Der Bursche wartete an der gleichen Stelle wie zuvor darauf, dem nächsten Wanderer zu begegnen. Nur wies sein Körper nun vielleicht ein Einschussloch mehr auf.
Irgendetwas hatte er übersehen.
Rhodan wühlte in seiner Erinnerung. Minuten später blieb er jäh stehen, schaute sich noch einmal um und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. ES, der Unsterbliche von Wanderer, die Superintelligenz ... Was hatte ihn daran gehindert, das sofort zu erkennen?
War ES in der Nähe?
Was bedeutete Nähe eigentlich im Bereich einer Materiesenke?
Aus der Höhe konnte er Schamballa gut überblicken. Wenn Rhodan die Geländeformation richtig interpretierte, dann stand er gleichsam auf dem höchsten Punkt einer Kuppel. Schamballa war auffällig gekrümmt – das Fragment konnte keinen sehr großen Radius haben.
Er schaute auf die gewölbte Ebene hinab und sah den einsamen Reiter in der Ferne. Nicht die kleinste Wolke hing am Himmel, es war hell und warm.
Von einem Augenblick zum nächsten belebte sich das Land, doch Einzelheiten waren aus knapp tausend Metern Höhe schwer zu erkennen.
Rhodan überlegte nicht lange. In dieser albtraumhaften Welt gab es für ihn nur eines, was er tun konnte, er musste sich mit jeder Form intelligenten Lebens verbünden. Ein Einzelner war in diesem System von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Da er die Lage keineswegs zuverlässig einschätzen konnte, verzichtete er darauf, sich seiner technischen Möglichkeiten zu bedienen. Er wollte Energie
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