Silberband 116 - Der Auserwählte
ihm hatte ihn daran gehindert - nicht sein Wille, auch nicht sein Gewissen. Eine fremde Kraft hatte sich seiner bemächtigt und ihm gleichsam nur den Finger blockiert. Vergeblich hatte Kemoauc versucht, diese Sperre zu überwinden, aber es war ihm nicht gelungen.
Der Symbiont war stärker als er - vermutlich war das der Zweck dieser Lebensgemeinschaft.
Genau genommen war der Begriff Symbiont falsch - eine Symbiose war eine Lebensgemeinschaft zum beiderseitigen Vorteil, und Kemoauc konnte sich nicht vorstellen, welchen Vorteil er dadurch haben sollte, dass eine innere Instanz seine Willensentscheidungen im Bedarfsfall einfach überging.
»Eines verstehe ich nicht«, sagte er.
»Was?«
»Hat jeder von uns einen solchen Aufpasser mit sich herumgetragen?«
»Meines Wissens ja«, antwortete Samkar.
»Wie war es dann möglich, dass Bardioc sein Sporenschiff stahl? Und dass ich überhaupt so weit kommen konnte?«
»Viele Erklärungen sind denkbar«, sagte Samkar. »Möglich, dass der Symbiont gleichsam eingeschlummert ist und unwirksam wurde. Vielleicht hat ihn erst die Nähe zur Materiequelle wieder aufgeweckt. Oder die Verbindung zu den Kosmokraten wurde erst durch dein Erscheinen hier wiederhergestellt.«
»Denkbar wäre ebenso, dass er am Ort seiner Geburt wieder erwacht ist.« Kemoauc sagte das ohne Bitterkeit.
Alle Fragen waren nun geklärt. Er kannte das Geheimnis seiner Herkunft - seiner Entstehung.
Kemoauc, der Mächtige, und seine sechs Brüder waren in dieser Weltraumfabrik entstanden, ebenso wie vermutlich auch die Androiden
-von denen die Mächtigen nur ein besonders aufwendiges Baumuster darstellten.
»Ich wüsste gern, wozu das alles dient«, sagte Kemoauc. »Hast du
Informationen, was eine Materiequelle ist? Wie sie aussieht und funktioniert? Und was ist dahinter?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Samkar. »Aber selbst wenn ich es wüsste, ich dürfte es dir nicht verraten. Es gibt Dinge, die geheim bleiben müssen.«
»Ich glaube nicht, dass ich jemals Gelegenheit haben werde, das Geheimnis zu verraten. So gesehen könntest du offen reden.«
»Niemand von uns ist völlig frei. Was immer geschieht, ist Gesetzen unterworfen. Es können natürliche Gesetze sein, aber auch Regeln, die lebende Wesen erarbeitet haben - überall gibt es Struktur und Ordnung und ein Gefüge. Sogar der Zufall hält sich an präzise Spielregeln.«
»Allerdings«, bemerkte Kemoauc. »Er hat mich hierher geführt.«
»Ob das Zufall war, wird sich heraussteilen.«
»Was wird jetzt aus mir?«, fragte Kemoauc. »Muss ich dir gehorchen?«
»Willst du?«
Kemoauc zögerte keine Sekunde. »Nein«, sagte er.
»Du bist frei«, erklärte Samkar. »Deine Aufgabe ist vollendet - nicht erfüllt.«
»Am Ende steht also mein Versagen ...«
»Es gibt Aufgaben, die nicht jeder lösen kann. Deine - eure - Aufgabe war vielleicht zu groß für den Bund der Zeitlosen. Erinnere dich
-auch du hattest Vorgänger und hast Nachfolger.«
»Ich habe sie nicht gesehen und niemals erfahren, wie sie aussahen«, sagte Kemoauc.
»Ich habe den Auftrag, dir eine Last abzunehmen, die du nicht übernehmen könntest - nicht, weil du zu schwach wärest, sondern weil die Aufgabe anders geworden ist.«
»Sprich weiter!«, verlangte der Zeitlose. »Auch Werkzeuge müssen sich ändern. Fühlst du dich wohl als Werkzeug?«
»Bislang habe ich nicht darüber nachgedacht«, sagte Samkar. »Jede meiner Handlungen ist eingebettet in ein Ganzes. Was ich tue oder unterlasse, kann Folgen für andere haben. Vielleicht töte ich durch mein Handeln, vielleicht morde ich durch Nichtstun. Nichts und niemand ist vollkommen - du kannst es an mir sehen.«
»Und die Kosmokraten? Sind sie vollkommen?«
»Auch sie nicht. Ihre Macht, so groß sie sein mag, hat Grenzen. Eine dieser Grenzen kennst du - es ist den Kosmokraten nicht möglich, die Manipulation einer Materiequelle gleichsam mit einem Fingerschnippen zu regulieren. Sie sind nicht unfehlbar, und sie sind nicht allmächtig. Das beste Beispiel ist, dass sie Mitglieder brauchen, um ihre Ziele auf unserer Seite der Materiequelle erreichen zu können - Mitglieder wie dich und deine sechs Brüder.«
»Inzwischen dich«, führte Kemoauc den Gedanken fort. »Wozu das alles? Wo ist der Sinn?«
»Es geht um etwas, das zweifellos zu groß ist, um von uns verstanden zu werden.«
»Versuche es wenigstens.«
»Es geht darum, eine Art kosmische Ordnung zu schaffen, ein Prinzip, das feindlichen Kräften entgegenwirken
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