Silberfischchen
»Fächermuster.« In der Echtsilberausführung, nicht 90 Gramm hart versilbert, sondern Sterling, hatte seine
Frau immer betont.
Zu Weihnachten und ihren Geburtstagen hatten sie sich gegenseitig Messer und Gabeln, Tortenheber und Sahnelöffel und Sandwichzangen
geschenkt. Seine Frau wollte es so. Zu ihrem fünfzigsten Geburtstag hatte er eine Reise gebucht, Costa del Sol, zwei Wochen,
Halbpension. Sie war zornig geworden. Immer mache er alles kaputt, hatte sie gesagt, nie erfasse er das Wesentliche, und war
ins Bad gegangen, um zu weinen. Neun Messer, Gabeln, Suppen- und Teelöffel waren es gewesen, acht Kuchengabeln, ein Tortenheber,
ein Sahnelöffel, zwei Sandwichzangen, als sie starb. Sechs der Gedecke konnte er verkaufen, von dem Erlös hatte er die Kamera
bezahlt.
Sie summte, während sie den Tisch abräumte, das Geschirr in die Spüle stellte, er nahm die Zeitung vom Couchtisch, ließ sich
in den Sessel fallen.
Das Geräusch ihrer Füße auf den Dielen, das Knarren unter ihrem Gewicht blieb aus. Schließlich hob er den Kopf, Jana Potulski
war stehen geblieben, auf |83| der Türschwelle, ihr Mund geöffnet, ihre Hände erhoben, die Handflächen ihm zugewandt, als hätte sie etwas sagen wollen. Sie
ließ die Hände sinken, sah ihn nicht an, setzte vorsichtig einen Fuß auf, das Knarren ließ sie wieder innehalten. Vielleicht
sollte er Kommen Sie herein sagen. Er wandte sich wieder der Zeitung zu, es war eine der Sportseiten, die las er sonst nicht.
Das eine Blatt zur Hälfte mit Tabellen bedruckt, auf der anderen Seite Fotos, lachende Skiläufer, an deren Nasen weißliche
Tropfen hingen.
»Die Uhr ist kaputt?«, sie deutete zum Sideboard.
Er sah nicht auf, nickte nur.
»Die Batterie oder richtig kaputt?«
»Heil«, er schlug die Seiten um, »sie ist nicht aufgezogen, sie tickt zu laut. Seien Sie ruhig und setzen Sie sich hin.«
Er hörte, wie sie langsam zum Sofa ging, jeden Fuß behutsam aufsetzte, als eine der Dielen knarrte, seufzte sie leise. Stumm
zählte er die Tabellen, wollte nicht umblättern, hörte, wie das Sofapolster nachgab, als sie sich setzte. Er schlug die Zeitungsseite
um, mit Schwung um, das Papier legte sich nicht glatt aufeinander, bildete Falten, das Telefon klingelte. Klingelte so plötzlich,
dass er zusammenzuckte, er starrte auf den Apparat, es war lange her, dass er geklingelt hatte. Jana Potulski sah ihn an,
sah das Telefon an, auf dem Tischchen zwischen ihnen, es schrillte erneut.
»Soll ich?«
Er griff nach dem Hörer, räusperte sich, »Mildt.« Eine Frauenstimme, ihr Klang vertraut, sie sagte irgendwas, er verstand
sie nicht.
|84| »Bitte?«, sagte er. Einen Moment war es still.
»Jana«, fragte die Frau, »Jana Potulska?«
Er sah zum Sofa hinüber, Frau Potulski sah ihn unverwandt an.
»Verwählt«, sagte er schließlich und legte den Hörer auf die Gabel. »Das Radio«, er deutete mit dem Kinn in Richtung Sideboard,
»machen Sie es an.«
Sie wollte aufstehen, hielt inne, als das Telefon erneut klingelte. Er hob die Zeitung, schlug sie wieder auf.
»Es ist für Sie«, sagte er.
Er versuchte, nicht zuzuhören, sich auf die Zeitung zu konzentrieren, nicht nach Worten zu suchen in dem fremden Silbenstrom.
Ihre Stimme ruhig, freundlich, sie sprach lange, fand er.
»Ihre Adresse«, sagte sie unvermittelt auf Deutsch. »Ich brauche Ihre Adresse«, wiederholte sie.
Er sah auf, sie sprach mit ihm.
»Wozu brauchen Sie meine Adresse?«
Sie atmete tief ein und wieder aus.
»Für den Pass. Irgendwo muss sie ihn hinschicken.«
»Sie blockieren die Leitung«, entgegnete er.
Sie sah ihn stumm an, sprach nicht in den Hörer, saß kerzengerade da, schob das Kinn vor.
»Adresse«, sagte sie.
»Postlagernd«, er sprach mit Absicht leise, sie verstand ihn dennoch, »sie soll ihn postlagernd schicken.«
»Warum darf ich Ihre Adresse nicht …«
»Sie blockieren die Leitung«, wiederholte er.
»Als wenn Sie jemand anrufen würde.«
Sie wechselte wieder ins Polnische, ihr Tonfall schlagartig freundlich.
|85| »Gehen Sie in die Kirche«, fragte sie, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte. Er konnte fühlen, dass sie ihn ansah und wartete.
Nach einer Weile schüttelte er den Kopf.
»Sollten Sie. Sie sind …«, sie senkte die Augen, betrachtete die Platte des Couchtischs.
»Was bin ich?«, seine Stimme klang beunruhigt, stellte er fest.
»Sie sind so traurig«, ihr Zeigefinger zeichnete die Maserung nach, langsam und
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