Silberflügel: Roman (German Edition)
Sekunden.“
„Du hast aber nichts gesagt“, brummte Schatten und landete neben ihr.
„Du hast mich nicht gehört.“ Sie rülpste laut.
„Weißt du, ich fühle mich nicht so toll“, sagte er.
„Geschieht dir recht.“
„Mir? Was ist mit dir? Es war deine Idee!“
„Hör zu, mir ist auch nicht so gut“, gab Marina zu.
„Im Leben ess ich keinen einzigen Moskito mehr.“
„Sind sie dir ungewöhnlich würzig vorgekommen?“, fragte sie.
„Bitte, rede nicht darüber.“
Es dauerte eine Weile, bis sich ihre Mägen wieder beruhigt hatten und sie losfliegen konnte. Schatten hatte ein Gefühl, als hätte er einen großen Stein verschluckt.
„Sagen wir, es war ein Unentschieden“, schlug Marina nach einiger Zeit vor.
Schatten grinste und rülpste ohrenbetäubend. „Scheint mir fair.“
Die Nacht hindurch hielten sie ein gutes Tempo bei.
Von allen war sie bislang die kälteste. Auf dem Gras glitzerte der Reif. Sie hielten sich rechts der Küste. Auch eine von Menschen gemachte Straße schlängelte sich dort entlang, und inzwischen hatte sich Schatten daran gewöhnt, die Fahrzeuge der Menschen auf ihr dahinrasen zu sehen.
„Glaubst du, die Menschen werden uns irgendwie helfen?“, fragte Marina.
„Mein Vater hat das geglaubt.“
„Ich habe über das Große Versprechen nachgedacht. Darüber, dass wir ans Licht zurückkommen sollen. Würden wir nicht erblinden?“
„Nur wenn du für längere Zeit direkt in die Sonne starrst“, sagte Schatten.
In der kalten Nacht erinnerte er sich an ihre Wärme, ihre blanke Kraft.
„Aber du hast nur ein bisschen von ihr gesehen, oder?“
„Ja, richtig, aber Frieda hat sie ganz gesehen. Sie wollen nur nicht, dass wir sie haben, die anderen Tiere. Weißt du, was ich glaube? Wenn wir die Sonne wieder bekämen, würden wir wachsen, und dann müssten wir keine Angst mehr haben, dass die Eulen uns jagen. Wir können die anderen Silberflügel fragen, die Männchen mit den Ringen.“ Er starrte zum Horizont. „Wenn wir sie jemals einholen.“
„Du hast gesagt, dass sie eine Weile der Küste folgen. Was ist danach? Woher wissen wir, wann wir den Kurs ändern müssen?“
„Vielleicht könnte ich versuchen, dir das nächste Stück zu singen.“
Nicht, dass man es ihm beigebracht hatte. Aber er meinte, ein Versuch könnte sich lohnen. Er konnte gut Echos empfangen …
„Es wird nicht funktionieren.“
„Nein?“
„Weißt du denn überhaupt nichts? Du bist ein Silberflügel, ich ein Glanzflügel. Unsere Echos sind nicht gleich. Es wäre nur ein großes Durcheinander.“
„Also kann nur ich die Karte lesen“, sagte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das gefiel ihm. Etwas, was er wusste und sie nicht.
„Du brauchst deswegen nicht so frech in die Gegend zu blicken. Du musst es mir, so gut du kannst, erklären.“
Er rief sich die Klangkarte seiner Mutter ins Gedächtnis. Er sah den Ozean, den Leuchtturm, den Küstensaum, und dann …
„Lichter“, sagte er zu Marina. „Wie Sterne, nur dass sie nicht wirklich sind. Und sie sind unten am Boden statt am Himmel. Es sieht aus, als wäre alles aus Licht. Riesige Formen …“
„Eine Stadt“, sagte Marina einfach.
Schatten zwinkerte. Das war nicht schwer. „Bist du dort gewesen?“
„Einmal. Müssen wir wirklich da hinein?“
Es gab etwas Wichtiges in dieser Stadt, inmitten dieses ganzen Lichts. Einen Turm, höher als den Leuchtturm …
„Ja. Es gibt da einen Orientierungspunkt. Wir benutzen ihn, um unseren Kurs daran auszurichten, es hat etwas mit den Sternen zu tun und einem Metallkreuz und …“
„Horch nur!“, sagte Marina plötzlich und unterbrach ihn.
Schattens Ohren zuckten, er lauschte angestrengt und konnte das unverkennbare flattrige Rascheln von Flügelschlägen hören. Nicht nur von einem Paar, sondern von vielen.
„Komm mit!“ Mit einer plötzlichen Beschleunigung jagte er über den Himmel, bis er die Fledermäuse in der Ferne mit seinem Klang-Sehen ausmachen konnte, hunderte, die über den Baumwipfeln schimmerten.
„Ich glaube, sie sind’s!“, sagte er. „Sie müssen es sein!“
„Ich hoffe, sie mögen mich“, sagte Marina. „Wie sollte ich mich vorstellen? Hallo, ich bin ein Freund der Fledermaus, wegen der euer Rastplatz abgebrannt ist?“
Schatten lachte laut auf vor Entzücken. „He! Hallo!“, rief er der Kolonie zu. „Ich bin’s, Schatten!“
Drei Fledermäuse am Ende des Zuges drehten ab und schauten sich um. Neugierig tastete Schatten sie
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