Silberlicht
seines Haares, dem abgetragenen Kordjackett, das seine Frau ständig zu entsorgen versuchte, und dem zerkratzten Leder seiner Tasche. Bis ins Sekretariat ging ich ihm hinterher. An der Tür hielt ich inne und wartete, während er am Tresen stand und ein Blatt aus seinem Postfach studierte. Ich stellte mich neben ihn. Olivia saß wie immer an ihrem Schreibtisch und telefonierte. Ihr Blick ruhte auf mir, und ich hatte das unbehagliche Gefühl, als wüsste sie, dass ich nicht Jenny war.
Ich drehte mich zu Mr. Brown, wagte es jedoch nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Stattdessen starrte ich auf das Papier in seinen Händen, auf die Narbe an seinem Daumen, die er sich während einer Rucksackreise zugezogen hatte, und den schmalen Streifen auf seiner Haut, wo seine Bräune unter dem Ehering verblasste. Sprich mit ihm, drängte mich eine Stimme in meinem Inneren. Doch was würde Jenny zu ihm sagen? Wortlos verließ er den Raum, ohne mich überhaupt wahrgenommen zu haben. Olivia beobachtete mich immer noch, als ich ihm folgte.
Ich suchte James in der Schülermenge, fand ihn jedoch nicht. An meinem Schließfach klebte eine Nachricht: »Parkplatz, 11 : 15 Uhr.«
In meinem Geologiekurs blieb ein Mädchen neben mir stehen, dessen Lächeln eine glänzende Zahnspange entblößte. »Morgen ist ein halber Tag«, sagte es. »Die Bibelstunde ist also Donnerstag zur Lunchzeit.«
»Danke«, erwiderte ich. Das schien ihr zu genügen, denn sie ging weiter, eine geblümte Tasche hin und her schwingend.
Der Unterricht verging so zäh wie schmelzendes Eis. Der Sekundenzeiger lief anmutig im Kreis, doch der Minutenzeiger machte alle zwei Minuten einen winzigen Schritt nach hinten, um anschließend endlich nach vorne zu rücken. Ich wollte nur bei James sein. Nein, das stimmte nicht. Ich wollte auch mit Mr. Brown sprechen. Das hatte ich immer gewollt. Doch ich wollte nicht, dass er Jenny dabei sah. Plötzlich kam mir eine Idee.
Ich blätterte die Seite meines Hefts um und begann zu schreiben.
Ich hörte die Klingel nicht und erkannte nur an der allgemeinen Aufbruchstimmung, dass die Stunde zu Ende sein musste. Eigentlich hätte ich im Politikunterricht sitzen sollen, doch da ich wusste, dass Mr. Brown eine Freistunde hatte, ging ich zu dem Baum vor seinem Klassenzimmer und beobachtete die Tür, bis ich mich endlich mutig genug fühlte, einzutreten. Da saß er, den Kopf auf eine Hand gestützt, vor sich einen Stapel Arbeiten, den grünen Stift gezückt. Ich studierte sein Gesicht, prägte mir jedes Detail ein. Ich konnte mir die Gesichter aller meiner Bewahrer bis in die letzte Einzelheit ins Gedächtnis rufen – meine Heilige, mein Ritter, mein Dramatiker und mein Poet. Mr. Brown schien in der Zeit erstarrt, als hätte ich ein Bild von ihm gemalt. Dann hob er den Kopf und sah mir in die Augen.
»Guten Tag«, sagte er. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich hoffte, er würde nicht merken, dass ich kaum ein Wort herausbrachte. Ich blieb in der Nähe der Tür, meinem Fluchtweg.
»Sie waren letztes Jahr in meinem Kurs«, sagte er aufmunternd. »Jenny, nicht wahr?«
Wenn ich mich jetzt nicht vorwärtsbewegte, würde ich aus dem Zimmer rennen. Langsam ging ich zu seinem Schreibtisch und sagte stockend: »Ich habe etwas geschrieben.«
»Toll«, lächelte er. »In welchem Kurs sind Sie jetzt?«
»Dieses Semester habe ich kein Englisch«, antwortete ich mit piepsiger Stimme. Ich räusperte mich. »Vielleicht könnten Sie mir Ihre Meinung dazu sagen, wenn ich es Ihnen vorlese.«
Er war verblüfft. Diese Worte hatte er bisher wohl eher selten von einem Schüler gehört. »Natürlich.« Er bedeutete mir, mich in die erste Reihe zu setzen. »Ist es ein Gedicht?«, fragte er.
»Nein«, antwortete ich, während ich meine Büchertasche neben den Stuhl auf den Boden fallen ließ. Obwohl mir seine Aufmerksamkeit immer so wichtig gewesen war, konnte ich sie in diesem Moment nur schwer ertragen. Ich hielt meinen Blick auf das Papier in meinen Händen gesenkt. »Nein.«
»Eine Kurzgeschichte?«
»Nun, ja, kurz ist es.«
Los, sei mutig, befahl ich mir. »Ein Brief von einer Muse an ihren Dichter«, las ich. Er lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Verehrter Herr, ich wurde weggerufen und konnte Sie nicht mit mir nehmen, doch nun finde ich keine Ruhe.« Er starrte mich an, und meine Wangen kribbelten. »Ich weiß, dass Sie manchmal das Gefühl hatten, ich sei ein Teil von Ihnen gewesen und dass mein Verlust ein Loch in Ihrem Herzen
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