Silberlicht
Sitzreihe zog.
»Weiß deine Mutter von dem halben Tag?«, fragte James.
»Nein.«
Wir hielten uns im Schutz der Armlehne an den Händen, bis alle auf ihren Plätzen saßen. James wollte sich gerade zu mir nach vorne beugen, als sich ein Wachmann vom anderen Ende der Reihe näherte, um ebenfalls der Versammlung beizuwohnen. Der Schulleiter bat um Ruhe. James flüsterte: »Mitch hat recht. Ich bin unverantwortlich.«
»Warum?«
»Weil ich keine Verhütung benutze.«
Bis zu diesem Moment hatte ich keine Sekunde daran gedacht, dass ich schwanger werden könnte. Angst stieg in mir auf wie damals, als Mr. Brown einen Namen für sein ungeborenes Kind ausgesucht hatte.
Doch James dachte gar nicht an Kinder. »Es könnte sein«, sagte er leise, »dass sich Billy bei einem anderen Mädchen mit einer Krankheit angesteckt hat, bevor ich in seinen Körper kam.«
Mein Puls verlangsamte sich. In meinen Ohren klang das wie eine Nichtigkeit. Die Regeln dieser Welt waren so leicht fortzuwischen wie ein Rauchfähnchen. »Wir sind in Ordnung«, beruhigte ich ihn.
Nachdem der Schulleiter seine Ankündigungen verlesen hatte, folgte eine Einlage der Cheerleader mit Musik vom Band. Wir mussten uns direkt ins Ohr sprechen.
»Wenn wir verheiratet sind«, sagte ich, »verreisen wir.«
Zuerst war ich mir nicht sicher, ob er mich gehört hatte, doch dann sagte er: »Mit dem Zug.«
»Und dem Schiff. Nach England.«
»Und China.«
»Und Afrika.«
James strich mir das Haar hinters Ohr. »Wir können uns jeden Abend gegenseitig vorlesen.«
Ich legte meine Hand auf seinen Hals und fühlte seinen Puls. Ich versuchte, meinen im gleichen Takt schlagen zu lassen, doch er war zu schnell. »Womit werden wir unser Geld verdienen?«, fragte ich.
»Ich würde alles tun«, sagte er. »Ich würde Gräben für dich ausheben.«
»Ich würde Böden für dich schrubben.«
Als der Applaus verebbte, ertönte ein Trommelwirbel, und James schrak zusammen. Die Schulband stieg über den Seitenaufgang auf die Bühne. Ich war seiner Aufmerksamkeit beraubt, mein Verehrer, der vom Ruf eines Horns von meiner Veranda weggelockt wurde. Er sah der Band zu, nicht mir. Ich hielt den Kragen seines Hemdes, meine Hand über seinem Herzen wie eine Medaille.
Schließlich wurden die Schüler entlassen, und James zog mich mit sich. Als wir ins Freie traten, nahm er meine Tasche. Ich spürte, dass er, genau wie ich, davonrennen wollte, doch wir beherrschten uns und gingen so normal wie möglich unseres Weges. Auf dem Parkplatz ging er an den Fahrradständern vorbei zum Gehsteig.
»Laufen wir?«, fragte ich.
»Meine Fahrradkette ist gerissen.«
Einen halben Block weiter stoppten wir an der Bushaltestelle. Wir hielten uns an den Händen; unsere Taschen lagen zu unseren Füßen. Schüler kamen auf Fahrrädern, zu Fuß oder mit dem Auto an uns vorbei, manche riefen uns etwas zu. Doch niemand wartete mit uns auf den Bus.
Auf der Bank saß ein alter Mann und las Zeitung. Ein Auto hupte einen grauweißen Hund an, der im Rinnstein die Straße entlanglief. Als er plötzlich in den Verkehr hineinrannte, machte mein Herz einen Satz.
»Diggs!« James stürzte auf die Straße. Ein Auto kam mit quietschenden Reifen ein paar Zentimeter vor ihm zum Stehen. »Pass auf!« Seine Augen waren weit aufgerissen, und er zitterte, als der Hund schuldbewusst zwischen seinen Beinen hindurch in eine Gasse lief. Ein Hupkonzert ertönte. James atmete tief durch und blinzelte gegen die Tränen an, während ein Fahrer sein Fenster herunterließ und ihm zubrüllte: »Idiot!«
James trat zurück auf den Bordstein, während sich der Verkehr langsam wieder in Bewegung setzte.
»War das dein Hund?«, fragte ich.
James nahm meine Hand. »Ich habe keinen Hund.«
»Wer ist dann Diggs?«
»Diggs?« Er sah überrascht aus, doch ein Lächeln wischte die Verwirrung aus seinem Gesicht. »Ich weiß es nicht.«
Eine Frau mit einem Kinderwagen ging an uns vorbei. Das heisere Weinen des Kindes ließ mein Herz erschauern. James legte schützend seinen Arm um meine Taille, und mein Inneres entspannte sich, wie ein gelöster Zopf. Ich fühlte mich so geborgen bei ihm, dass ich ihm überallhin folgen würde, nur mit unseren beiden Taschen im Gepäck; und wir wären glücklich und zufrieden, bis uns der Tod zu Staub zerfallen ließe.
Selbst jetzt, als ich den älteren Herrn neben uns beobachtete, der seine Hände wie zwei sich putzende Vögel aneinanderrieb, fragte ich mich, warum das Alter uns an
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