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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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Kette riss in der Mitte entzwei. Ich schrie auf, konnte ihn jedoch nicht berühren. James sah, wie die Trillerpfeife wie in Zeitlupe auf Diggs’ Helm fiel. Diggs blickte nach oben.
    James öffnete den Mund, doch kein Laut drang daraus hervor. Verzweifelt rang er nach Atem, sah zu, wie die Soldatenflut auf den vereisten Schützengraben unter ihm zuströmte.
    »Diggs!«, schrie er endlich. Sein Freund lächelte ihm zu, um gleich darauf nach hinten zu zucken, als habe ihm jemand in den Bauch getreten. Kraftlos sank er auf ein Knie und fiel zu Boden. James rutschte den Baum hinunter und sprang auf die Erde. Ich flog mit ihm, wollte, dass das alles aufhörte. Wenn dies der Moment seines Todes war, dann wollte ich ihn nicht sehen.
    Die Wand aus Uniformen hatte sich bereits in den Schützengraben ergossen. James umklammerte Diggs’ Gesicht, doch die Augen darin waren tot. Sein Mantel war an der Hüfte aufgerissen, schwarz und nass. James presste eine Hand auf Diggs’ Bauch, während das Blut durch seine Finger floss.
    »O Gott!« Er versuchte, Diggs zusammenzuhalten, als eine Kugel den Helm auf seinem Rücken wegschoss und ihn eine andere hinter dem Ohr in den Kopf traf. Er fiel in den Schlamm und blieb auf dem Rücken liegen, die Augen starrten blicklos nach oben in den Baum. Das war seine letzte Erinnerung. Er hatte sie wiedererlangt.
     
    Seine Augen waren immer noch weit offen, als ich mich in Billys Bett wiederfand. James war erneut in Billys Körper und lag flach auf dem Rücken, doch er sah weder mich noch das Zimmer um uns herum. Er starrte an die Decke und tastete verzweifelt nach der Trillerpfeife um seinen Hals.
    »James?« Ich berührte seinen Arm. Er war beängstigend kalt. Statt einer Antwort schlug er die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Ich küsste und rieb seine Brust, versuchte ihn zu wärmen.
    »Es ist vorbei«, sagte ich. »Sieh nicht hin. Komm zurück zu mir.«
    Die Tränen versiegten, doch er hielt seine Augen weiterhin bedeckt.
    »Es ist an der Zeit, mit der Vergangenheit abzuschließen«, sagte ich. »Diggs ist nicht mehr da. Keiner von uns. Alle sind weitergegangen.« Ich beobachtete ihn, wie er seine Hände vom Gesicht nahm und wieder an die Decke starrte. »Du musst nicht mehr dorthin zurückgehen«, erklärte ich ihm.
    James atmete geräuschvoll ein. »Er war hier«, sagte er.
    »Nein«, erwiderte ich. »Wir sind in Billys Haus.«
    »Diggs war gerade hier in diesem Zimmer.« James suchte die Decke ab und sah an mir vorbei in die Ecken des Raumes. »Er sagt, er habe seit Jahren versucht, mir etwas zu sagen.«
    Die Vorstellung, dass ein Geist mit uns im selben Zimmer gewesen war und ich es nicht gemerkt hatte, ängstigte mich. »Was hat er dir denn gesagt?«
    »Dass ich ein Vollidiot war.« James’ Reaktion erschreckte mich. Er hielt sich die Rippen, als würde ein uraltes, nie gelachtes Lachen aus ihm hervorbrechen, an dem er andernfalls zerbersten könnte. Gleich darauf zog er mich an sich und umarmte mich. »Es ist alles in Ordnung.«
    Er war zurück in der Gegenwart, doch ich spürte, dass er sich verändert hatte. Das erschreckte mich. Ein Gewicht war von seinen Schultern genommen worden, und er wirkte so gelöst, als würde er sich jeden Moment aus meinen Armen lösen, um zu fliegen.
    James sah mich lange an, als ob er mir sagen wollte, wie der Himmel sei, aber keine Worte dafür fand. Schließlich meinte er: »Tritt deiner Hölle gegenüber und versetz ihr einen Stoß. Renne hindurch, und ich warte auf der anderen Seite auf dich.«
    Doch ich wusste nicht, wo ich hätte anfangen sollen, und ich war mir sicher, dass eine Konfrontation mit meinen Ängsten nicht so leicht war, wie es aus seinem Munde klang.
    »Hab keine Angst, dich zu erinnern.« Er lächelte mich an. »Glaube mir, Miss Helen.«
    Wir hatten nicht gehört, dass die Tür aufgegangen war. Die Stimme, die jetzt erklang, beschoss uns wie ein Gewehr.
    »Raus!«
    James lehnte sich schützend vor mich, als fürchtete er, dass Mitch gleich etwas nach uns werfen würde.
    »Zieht eure verdammten Klamotten an und dann raus hier!« Er wandte uns den Rücken zu, als wir hastig aufsprangen und unsere Kleider zusammensuchten. Einen absurden Moment lang kniete ich hinter Mitch und griff zwischen seinen Füßen hindurch nach meiner Büchertasche. Ich fühlte mich wie eine Elfe, die gleich von einem Riesen zermalmt wird.
    »Es tut mir leid«, sagte James.
    »Halt die Klappe«, schnauzte sein Bruder ungehalten.»Wir hatten nur einen

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