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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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her.« Er winkte mich zum Bett zurück. Begeistert wie ein Kind am Weihnachtsmorgen sprang ich unter die Decke, wo er sogleich seinen Arm unter meinen Kopf legte. »Wir sollten beide auf das Foto«, sagte er.
    Ich versuchte, die Kamera weit genug von uns wegzuhalten. James, der längere Arme hatte, nahm mir den Apparat aus der Hand. Wir schmiegten unsere Gesichter eng aneinander. Als uns der Blitz einfing, zog ich ihm die Decke weg. Er lachte, und die Kamera spuckte das nackte Foto aus wie ein Metallfrosch, der seine Zunge ausrollt. James gab mir die Kamera und wedelte mit dem Foto vor meinem Gesicht herum, während ich danach zu greifen versuchte.
    »Das gehört mir«, sagte ich.
    »Wir können beide schauen«, sagte er schließlich und legte sich zurück. Mein Kopf ruhte auf seiner Schulter. Langsam wurde das Bild sichtbar – ein lachendes, leicht verschwommenes Paar mit nackten Schultern und zerzausten Haaren auf einem weißen Kissen.
    »Kann ich es behalten?«, fragte James.
    »Ja.«
    Er legte das Bild auf seine Brust. »Wir sind aus einem bestimmten Grund auf der Erde zurückgeblieben.«
    Mein Inneres krampfte sich so plötzlich zusammen, dass mir schlecht wurde.
    James rückte noch näher an mich heran. »Aber wir haben uns gefunden. Alles ist gut.«
    Ich wusste, dass er versuchte, mich, und auch sich selbst, zu trösten. Doch irgendetwas an unserem Zustand fühlte sich nicht richtig an.
    »Warum, glaubst du, ist das so?«, fragte er mich. »Warum spukten wir?«
    »Ich habe etwas Furchtbares getan«, gestand ich.
    »Was denn?«, fragte er nach einem kurzen Moment des Zögerns.
    »Ich kann mich nicht erinnern.« Und warum sollte ich auch an etwas Schlimmes zurückdenken wollen? Meine ausgelöschte Vergangenheit mochte als Strafe Gottes ausgelegt werden, doch für mich war sie ein Segen.
    »Was auch immer es gewesen ist«, sagte James, »ich vergebe dir.«
    So einfache Worte, bei denen sich meine Kehle zusammenzog. Eine feuerheiße Träne entkam meinen Wimpern und vermischte sich mit dem Salz auf seiner Brust.
    »Gott vergibt mir nicht«, erwiderte ich.
    James legte seine Lippen an die Rundung meines Ohrs, sein Atem strich mir sanft übers Haar.
    »Sturkopf«, sagte er. Seine Verliebtheit machte ihn zu einem sanften Richter. Ich wusste nichts von meinen verblassten Sünden, aber ich wusste, dass sie schwer waren – meine Verbannung aus dem Himmel war der Beweis. Sanft streichelte er mein Gesicht, doch ich fühlte mich, als würde uns die Schwerkraft trennen, als bräche ich von ihm weg.
    »Wenn wir herausfinden könnten, warum man uns auf der Erde ausgesetzt hat, dann könnten wir vielleicht zusammen frei sein«, sagte er.
    »Und wie sollen wir das anstellen?«
    James stützte sich auf einen Ellbogen und sah mich an. »Woran erinnerst du dich? Bevor du Licht warst?«
    Vor meinem inneren Auge erschien dunkles Wasser, das um eine zerbrochene Planke wirbelte. »Nur an das, was ich dir erzählt habe«, log ich.
    Ich dachte, er würde meine Unehrlichkeit spüren, doch er ließ sich nichts anmerken. »Nachdem ich Billys Körper in Besitz genommen hatte, erinnerte ich mich immer nur an kleine Momente, doch von dem Tag an, an dem wir uns das erste Mal unterhalten hatten, kam mehr zurück. Heute Morgen ist mir in den Sinn gekommen, wie ich meiner Mutter am Krankenbett Kinderbücher vorgelesen habe. Das war das Einzige, was sie hören wollte.«
    »Was ist das Letzte, an das du dich erinnerst?« Meine Frage überraschte mich selbst. Ich fürchtete meine letzten Stunden, und vielleicht verabscheute er sie ebenso. Doch James verzog keine Miene.
    »Mein Vater hat erneut geheiratet, und mein Cousin und ich gingen nach New York.« Er runzelte die Stirn, als würde ihm der Blick in die Vergangenheit Kopfschmerzen bereiten. »Ich arbeitete bei einer Zeitung. Und wir wohnten über einer Bäckerei, die Zimmer rochen immer nach Brot. Wir sind am selben Tag in die Armee eingetreten.« Er starrte vor uns ins Nichts, als wolle er ein Teleskop neu ausrichten. »Ich erinnere mich an einen Baum.« Wie in einem tiefen Schlaf verlangsamte sich sein Atem, und seine Haut wurde kühl.
    »Es ist kalt«, sagte er.
    Ich versuchte ihn zu wärmen, mit meinem Bein, das über ihm lag, und meinen Händen auf seinen Armen.
    »Ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Was meinst du damit?«, fragte ich.
    Er war kreidebleich und legte sich auf den Rücken. Ich wusste, er sah mehr, als er preisgab. Die Furcht in seinen Augen erschreckte mich. Ich umfasste

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