Silberlinge
Umständen würde ich nicht einmal daran denken.«
»Heraus damit«, sagte ich zwischen zwei Bissen, und das meinte ich auch so. Michael hatte mehr als einmal sein Leben für mich aufs Spiel gesetzt. Beim letzten Mal war auch seine Familie in Gefahr geraten, und ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er nichts Unvernünftiges von mir verlangen würde. »Spuck’s aus, ich bin dir was schuldig.«
Michael nickte, sah mich fest an und sagte: »Lass die Finger von dieser Sache, Harry. Verreise für ein paar Tage, oder bleib wenigstens zu Hause. Aber halte dich bitte da raus.« Verdutzt blinzelte ich ihn an. »Heißt das, du willst nicht, dass ich dir helfe?«
»Vor allem will ich, dass du in Sicherheit bist«, erwiderte Michael. »Du schwebst in großer Gefahr.«
»Du machst Witze«, sagte ich. »Du weißt doch, dass ich zurechtkomme. Das müsste dir inzwischen klar sein.«
»So gut wie heute Abend?«, erwiderte Michael. »Wären wir nicht zur Stelle gewesen…«
»Was dann?«, fauchte ich. »Dann wäre ich tot. Früher oder später passiert so was eben. Es gibt mehr als genug böse Jungs, und irgendwann wird einer von ihnen mal Glück haben. So ist das Leben.«
»Du verstehst es nicht«, sagte Michael.
»Ich verstehe es ganz gut«, antwortete ich. »Eine Figur aus einem billigen Horrorfilm wollte mich umbringen. Es war nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal.«
Ohne von seinem Schwert aufzublicken, sagte Shiro: »Ursiel ist nicht gekommen, um Sie zu töten, Mister Dresden.«
Darauf senkte sich ein drückendes Schweigen über den Raum. Die Lampen summten leise, Shiros Putzlappen flüsterte auf der Klinge.
»Warum war er sonst dort?«, fragte ich schließlich. »Ich wäre jede Wette eingegangen, dass er ein Dämon war, aber er war nur ein Gestaltwandler. In seinem Innern steckte ein Sterblicher. Wer war er?«
»Sein Name war Rasmussen«, erklärte Michael. »Ursiel hat ihn im Jahre achtzehnhundertneunundvierzig übernommen, als er nach Kalifornien unterwegs war.«
»Ich habe ihn gesehen, Michael. Ich habe ihm in die Augen gesehen.«
Michael zuckte zusammen. »Das wusste ich nicht.«
»Er war ein Gefangener seiner eigenen Seele. Irgendetwas hielt ihn fest. Etwas Großes. Ursiel, nehme ich an. Er ist ein Gefallener, nicht wahr?«
Michael nickte.
»Wie ist so etwas bloß möglich? Ich dachte, die Gefallenen dürfen einem Menschen nicht den freien Willen nehmen.«
»Das dürfen sie auch nicht«, bestätigte Michael. »Aber sie dürfen Menschen in Versuchung führen, und die Denarier haben mehr zu bieten als die meisten anderen.«
»Die Denarier?«
»Der Orden des Schwarzen Denarius«, erklärte Michael. »Sie erkennen hier eine Gelegenheit, großen Schaden anzurichten.«
»Die Denarii, die Silbermünzen.« Ich holte tief Luft. »Du hast eine davon mit einem gesegneten Tuch aufgehoben. Dreißig Silberlinge, was?«
Er nickte. »Wer eine Münze berührt, wird von dem Gefallenen, der in ihr haust, besudelt und in Versuchung geführt. Er gewinnt dadurch große Macht, doch der Gefallene zieht den Sterblichen immer tiefer in seinen Bann, ohne ihn zu zwingen. Er macht ihm nur Angebote. Irgendwann hat der Betreffende zu viel von sich selbst aufgegeben, und dann…«
»Dann beherrscht ihn das Ding«, beendete ich den Satz. Michael nickte. »Genau wie bei Rasmussen. Wir versuchen, ihnen zu helfen. Manchmal erkennt der Betreffende, was ihm geschieht, und will sich dem Einfluss entziehen. Wenn wir sie finden, versuchen wir, den Dämon zu schwächen, damit der Gefangene entkommen kann.«
»Deshalb habt ihr mit ihm geredet, bis sich seine Stimme veränderte. Doch Rasmussen wollte nicht frei sein, oder?« Michael schüttelte den Kopf.
»Ob du es glaubst oder nicht, ich war schon ein- oder zweimal in Versuchung. Damit kann ich umgehen.«
»Nein«, widersprach er mir. »Das kannst du nicht. Den Denariern können nur wenige Sterbliche widerstehen. Die Gefallenen kennen unsere Schwächen und Fehler. Sie wissen, wie sie uns verlocken können, selbst wenn man gewarnt ist und über sie Bescheid weiß. Sie haben im Laufe der Jahrtausende unzählige Männer und Frauen vernichtet.«
»Wie ich schon sagte, ich komme klar«, knurrte ich.
Shiro grunzte nur. »Hochmut kommt vor dem Fall.«
Missmutig sah ich ihn an.
Michael beugte sich vor und versuchte es noch einmal. »Harry, bitte. Ich weiß, dass du es nicht leicht hattest. Du bist ein guter Mensch, aber du bist so verletzlich wie alle anderen. Diese
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