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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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genug, um hinauszuspähen.
    Draußen stand ein Mann, der fast so groß war wie ich, allerdings war er kräftiger gebaut und hatte breite Schultern, über denen sich eine schwarze Jacke spannte. Darunter trug er ein marineblaues Hemd, auf dem ich Falten erkennen konnte, die von den Riemen eines Schulterhalfters herrührten. Eine schwarze Mütze hielt das dunkelblonde Haar im Zaum, das ihm sonst bis auf die Schultern gefallen wäre. Er hatte sich seit mehreren Tagen nicht rasiert, unter dem Mund prangte eine kleine, bleiche Narbe, die das Grübchen in seinem Kinn noch deutlicher hervortreten ließ. Seine Augen waren graublau und zeigten nicht das geringste Gefühl. So etwas sieht man selten – es war nicht so, dass er verbarg, was er empfand, sondern es war einfach nichts da.
    »Dresden?«, fragte er.
    »Ja. Sie sehen aber nicht wie ein Archiv aus.«
    Er zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Ich bin Kincaid. Sie tragen ja eine Waffe.«
    »Nur wenn ich Besuch bekomme.«
    »Bisher sind mir noch keine Mitglieder des Rates begegnet, die eine Waffe tragen. Gut, dass Sie auf sich aufpassen.« Dann drehte er sich um und winkte. »Es sollte nicht lange dauern.«
    Ich lugte an ihm vorbei. »Was meinen Sie damit?«
    Gleich darauf kam ein entzückendes, vielleicht sieben Jahre altes Mädchen die Treppe herunter. Vorsichtig ließ sie eine Hand am Geländer. Ihre glatten blonden Haare waren fein wie bei einem Baby, knapp über den Schultern abgeschnitten und mit einem Haarband gezähmt. Sie trug ein einfaches, kleines Kordkleid, eine weiße Bluse und schwarze Lackschuhe, darüber eine dicke Daunenjacke, die angesichts des milden Wetters vielleicht noch ein wenig zu warm war. Ich sah zwischen ihr und Kincaid hin und her. »Sie können doch kein Kind in die Sache hineinziehen.«
    »Klar kann ich das«, erwiderte Kincaid.
    »Haben Sie denn keinen Babysitter gefunden?«
    Das Kind hielt ein paar Stufen oberhalb an, wo sein Gesicht auf gleicher Höhe mit meinem war, und sagte ernst und mit leichtem britischem Akzent: »Er ist mein Babysitter.«
    Verdutzt starrte ich die Kleine an.
    »Genauer gesagt, er ist mein Fahrer«, erklärte sie. »Wollen Sie uns nun hineinlassen? Ich stehe nicht gern draußen herum.«
    »Für einen Bibliothekar bist du aber etwas klein geraten«, sagte ich.
    »Ich bin auch kein Bibliothekar«, erwiderte das Kind. »Ich bin das Archiv.«
    »Warte mal«, sagte ich. »Was hast du…«
    »Ich bin das Archiv«, wiederholte das Mädchen mit fester, klarer Stimme. »Ich nehme an, Ihre Schutzsprüche haben meine Gegenwart bemerkt. Sie schienen jedenfalls zu funktionieren.«
    »Du?« Ich konnte es nicht fassen. »Du machst wohl Witze.« Vorsichtig tastete ich sie mit meinen Sinnen ab. Die Luft knisterte vor Kraft, die jedoch nicht dem entsprach, was ich bei einem anderen Magier erwartet hätte. Dennoch war sie sehr stark, ein tiefes und mächtiges Summen, wie man es in der Nähe von Hochspannungsleitungen hört.
    Ich hatte Mühe, mir meinen Schrecken nicht anmerken zu lassen. Das Mädchen besaß große Kraft, ungeheuer viel Kraft. Es war fraglich, ob meine Schutzsprüche ausgereicht hätten, um sie aufzuhalten, falls sie beschlossen hätte, einfach einzudringen. Unwillkürlich dachte ich an den allmächtigen kleinen Jungen, den Billy Mumy in einer alten Folge von Twilight Zone gespielt hatte.
    Mit unerbittlichen blauen Augen, in die tiefer zu blicken ich nicht die geringste Lust hatte, betrachtete sie mich. »Ich kann es Ihnen erklären«, sagte sie. »Aber nicht hier draußen. Ich habe weder Interesse noch die Neigung, Ihnen etwas anzutun. Eher das Gegenteil.«
    Ich war immer noch misstrauisch. »Versprochen?«
    »Versprochen«, sagte das Kind feierlich.
    »Vor dem Herz überkreuzt, und du stirbst, wenn du lügst?« Mit einem Zeigefinger malte sie ein X auf ihre dicke Jacke. »Sie wissen gar nicht, wie wahr das ist.«
    Kincaid sah sich nervös um und kam näher. »Nun entscheiden Sie sich schon, Dresden. Ich will sie nicht lange hier draußen stehen sehen.«
    »Was ist mit dem da?«, fragte ich das Archiv. »Kann ich ihm vertrauen?«
    »Kincaid?«, fragte das Mädchen neckend. »Kann man dir vertrauen?«
    »Ich habe meinen Lohn bis April erhalten«, erwiderte der Mann, der immer noch die Straße beobachtete. »Danach bekomme ich vielleicht ein besseres Angebot.«
    »Na bitte«, sagte das Mädchen zu mir. »Wir können Kincaid bis April trauen. Er ist auf seine Weise ein Mann mit Grundsätzen.« Schaudernd schob sie die

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