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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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leichtem Akzent, spanisch und britisch zugleich. »Der Auftrag erforderte erheblich mehr Auslagen als ursprünglich geplant. Ich erhöhe den Preis, um die Differenz auszugleichen, mehr nicht.« Es gab eine kurze Pause, dann fuhr die Frau fort: »Möchten Sie lieber eine Rechnung haben, die Sie bei Ihrer Steuererklärung absetzen können?
    Ich sagte doch, dass es nur eine Schätzung war. So etwas kommt vor.« Wieder eine Pause, ehe die Frau sagte: »Ausgezeichnet. Also alles wie besprochen.«
    Ich starrte zum See hinaus und bemühte mich, noch mehr mitzubekommen, doch die Unterhaltung war offenbar beendet. Niemand sonst war in der Nähe, was am frühen Morgen eines Werktages im Februar auch nicht anders zu erwarten war. Ich atmete tief durch, um mich zu entspannen, und schlich näher heran.
    Hinter einem Kabinenfenster bemerkte ich eine kleine Bewegung, dann piepste etwas. Neben einem Notizblock mit Hotellogo lag ein Handy auf einer Ablage. Dann sah ich durchs Fenster eine Frau, die einen langen, dunklen Morgenrock trug. Sie nahm das Telefon, ohne sich mit Namen zu melden, und sagte nach einem Moment: »Tut mir leid, Sie haben sich verwählt.«
    Dann legte sie das Handy weg und ließ den Morgenrock lässig zu Boden gleiten. Ich beobachtete sie noch eine Weile. Ich bin ganz sicher kein Spanner, mein Interesse war rein beruflicher Natur. Mehr nebenbei bemerkte ich, dass sie eine reizende Figur hatte. Sehen Sie? So arbeiten Profis.
    Sie öffnete eine Tür, aus der Dampf wallte, danach hörte ich das Geräusch von fließendem Wasser.
    Das war die Gelegenheit. Ich hatte die Frau nicht deutlich genug gesehen, um sie als Anna Valmont oder Francisca Garcia zu identifizieren, die beiden noch lebenden Kirchenmäuse. Außerdem hing nirgends das Grabtuch an einer Wäscheleine. Trotzdem hatte ich das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, und auf meine übersinnliche Informantin konnte ich mich wohl verlassen.
    Also entschied ich mich und stieg die kurze Laufplanke der Etranger hinauf.
    Ich musste mich beeilen, denn die Frau war vielleicht keine Freundin ausgedehnter Duschbäder. Rasch hinein, mich umsehen, irgendeinen Hinweis auf das Grabtuch finden und wieder verschwinden. Wenn ich schnell genug war, konnte ich mich zurückziehen, ehe jemand etwas bemerkte.
    So leise wie möglich ging ich die Treppe zur Kabine hinunter. Zum Glück knarrten die Stufen nicht. Ich musste den Kopf einziehen, als ich die Kabine betrat. Gleich hinter der Tür blieb ich stehen und sah mich um, während ich dem plätschernden Wasser in der Dusche lauschte. Der kleine Raum bot nicht viele Versteckmöglichkeiten. Ein Doppelbett nahm beinahe ein Viertel der Fläche ein, und in einer Ecke standen eine winzige Waschmaschine, ein Trockner und ein Wäschekorb übereinander. Den übrigen Platz beanspruchten eine Anrichte und eine Kochnische mit zwei kleinen Kühlschränken.
    Zwei Kühlschränke? Misstrauisch überprüfte ich sie. Im ersten lagerten Lebensmittel und Bier, der zweite war eine Attrappe, denn dahinter befand sich ein Regal mit einem schweren Safe. Bingo.
    Die Dusche lief immer noch. Als ich Anstalten machen wollte, den Safe zu knacken, fiel mir etwas ein. Die Kirchenmäuse hatten eine Menge auf dem Kerbholz und waren offenbar gut genug, um seit mehreren Jahren Interpol zu entwischen. Der Safe war als Versteck viel zu ungeschickt und zu offensichtlich. Also schloss ich den falschen Kühlschrank wieder und sah mich um. Allmählich wurde ich nervös, mir blieb nicht mehr viel Zeit, das Grabtuch zu finden und zu verschwinden.
    Aber natürlich. Mit zwei langen Schritten stand ich vor der Waschmaschine und wühlte im Wäschekorb. Das Grabtuch steckte unter mehreren sauberen Frotteehandtüchern in einer Plastiktüte, die ein wenig größer war als ein zusammengefaltetes Oberhemd. Ich berührte es mit der linken Hand. Es kribbelte, und auf dem ganzen Arm sträubten sich mir die Haare.
    »Verdammt, bin ich gut«, murmelte ich, nahm das Grabtuch und wollte gehen.
    Direkt hinter mir stand eine Frau in schwarzer Armeehose, einer dicken Jacke und rissigen Springerstiefeln. Das wasserstoffblonde Haar war extrem kurz geschnitten, was jedoch nicht von ihrem hübschen Gesicht ablenken konnte. Sie war anmutig und bot einen sehr angenehmen Anblick.
    Was allerdings nicht für die Kanone galt, mit der sie auf mich zielte. Es war ein hässlicher alter .38er-Revolver, ein billiges Ding für kleine Straßenganoven.
    Ich rührte mich nicht. Selbst mit einer billigen Kanone

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