Silbermuschel
und Farben vermischten sich. Mein Pulsschlag raste. Ich krallte mich an seiner Yukata fest.
»Geh nicht weg!«
»Ich bin bei dir. Hakkiri ieyo! Nun rede doch!«
Hilf mir, verlasse mich nicht! Küsse mir die Tränen von den Lippen, bedecke mich mit deiner Haut, mit deinem Atem. Ich suche dich in meinem Haar, zwischen meinen Brüsten, in meinem Leib. Hab Erbarmen mit mir. Liebe! Das Wort, das du ausgesprochen hast, ist zu mächtig.
»Verlaß mich nicht!«
Seine Stimme war weit weg wie hinter einem Nebelmeer.
»Du leidest so schrecklich! Ich kann es nicht mit ansehen.«
Er kniete, leicht hin und her schwankend, hielt mich in seinen Armen und wiegte mich wie ein Kind.
208
»Ich friere. Wärme mich. Stärker! Ja, so ist es gut.«
Seine Wange schmiegte sich an die meine, seine Lippen strichen über mein Gesicht. Den Hals hinunter. Sein Kopf hing herab in einer Flut starken, federnden Haares. Ich packte die dichten Strähnen wie ein Tau, wand sie um meine Handgelenke, fesselte mich an ihn.
»Wovor hast du solche Angst?« fragte er.
»Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht mehr! «
»Vor diesem Gaijin vielleicht, dem ich einen Denkzettel verpassen mußte?«
Wenn ich es dir sage, wirst du mich verlassen. Mein Körper sieht frisch und sauber aus, aber in mir sind Abszesse und Narben. Alles, was ich berühre, beschmutze ich. Ich schäme mich, ich schäme mich so! Aber dich kann ich nicht anlügen, auch nicht, wenn meine Seele sich im Dunkel verliert.
»Ich wollte mit ihm schlafen«, sagte ich.
Es ist soweit. Worte sind magisch. Was ausgesprochen ist, wird lebendig. Jetzt habe ich das Böse geweckt. Ihm Gestalt, Form und Leben gegeben. Der Teufel ist da. Ein Ungeheuer, ein Phantom. Er hat mich berührt, hat sich auf mich gewälzt, mich beschmutzt und erstickt. Er brachte mir den Tod, den Tod aus der Zeugung.
Er ist noch immer da, irgendwo in meinem Hinterkopf – der Teufel, der kleine Mädchen schändet, der ihren Körper zerstört und ihre Seele mordet. Einst habe ich ihn bekämpft, habe geglaubt, ihn besiegen zu können. Aber das war nur eine Illusion. Seit jenem Sommer in Arles ist er mir stets auf den Fersen gewesen. Und jetzt hat er mich eingeholt. Hier, in diesem Zimmer. Jetzt steht er lauernd an der Wand und wartet, daß du gehst. Daß du Verachtung und Abscheu zeigst.
Unmöglich, daß du bleibst! Er lacht mich höhnisch aus, der Teufel, und spricht zu mir in seiner stummen Sprache:
Du bist ein dummes kleines Mädchen. Was tust du hier eigentlich? Sag bloß, du hast fliehen wollen? Du weißt doch, daß du mir überall wieder begegnest. Dir kann niemand helfen. Auch er nicht. Er wird nur denken, du seist nicht richtig im Kopf.
Du willst doch nicht, daß er so von dir denkt, nicht wahr? Es ist besser, du hältst den Mund. Und glaube nur nicht, daß du mich vertreiben kannst. Was bildest du dir eigentlich ein, du alberne kleine Nutte?
So spricht der Teufel. Er weiß genau, daß ich ihm nicht entkommen kann. Es ist das schreckliche Bild, das hinter meinen Augen hängt, das sichtbare Böse, die Wildnis im Menschen, das Tier. Und jetzt bin ich zu schwach, um mit ihm fertig zu werden. Meine Lebenskraft ist erschöpft. Ich bin verloren.
Mein ganzer Körper überzog sich mit einer Haut aus Eis. Ich konnte mich nicht hinlegen, denn Hände hielten mich hoch. Ich fühlte mich gehalten, geborgen in einer Umarmung, fest, sicher und warm. Das war kein Traum, sondern spürbare Wirklichkeit. Kens Gesicht schmiegte sich an das meine. Seine Fingerspitzen zerdrückten die Tränen, die mir über die Schläfen liefen. Seine Hände waren zart und kühl. Ich überließ mich ihm mit der Schwäche einer Kranken.
209
»Und warum?« Seine Stimme, an meinem Ohr, hatte nichts von seiner Ruhe eingebüßt. »Warst du in ihn verliebt?«
»Nein!« Ich schauderte. »Er ist der Teufel!«
Kens Lippen strichen meinen Hals entlang, seine Zahne berührten sanft meine Halsbeuge. Behutsam zog er mich auf den Futon. Legte sich neben mich. Er nahm mich bei der Hand.
»Was hat er dir angetan?«
Meine Augen wanderten zur Decke hinauf. Ich sah die Täfelung über der Schiebetür und dem Fenster – ein breites Stück Holz, von der Brandung der Jahre zu einem seltsamen Muster geschliffen. Der Pfeiler des schmalen Alkovens war aus dem geschälten Stamm einer Tanne gemacht und so poliert, daß er aussah, als sei er in Kristall eingeschlossen. Reinheit. Frieden. Der Schatten des Teufels wanderte durch das Zimmer, blasser jetzt, tauchte in die
Weitere Kostenlose Bücher