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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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    Francas Augen ließen von ihm nicht ab.
    »Galt das etwa auch für Sie?«
    Die Frage sollte scherzhaft klingen. Aber ich habe ein feines Gefühl für Stimmen. Die von Franca kam mir gereizt vor.
    Er kicherte wie ein Halbwüchsiger.
    »Stimmt genau. Ich habe mich selbst ans Ende der Welt befördert! «
    »Und was suchten Sie dort?«
    »Eine Trommelwerkstatt«, erwiderte Ken.
    »Weswegen?«
    Er reckte sich hoch, hob mit beiden Händen sein fülliges Haar aus dem Nacken und ließ es wieder fallen. Seine bloßen Schultern schimmerten vor mir, braun und breit, und sein Nacken war schlank wie der einer Frau. Franca drückte ihre Zigarette aus, die sie nur zur Hälfte geraucht hatte. Ken erzählte weiter.
    »Trommeln hatte ich schon als Kind gemocht. In japanischen Städten besitzen alle Wohnviertel ihren Schrein, und jeder hat seine Trommel. Ich war immer dabei, wenn man die Trommel unseres Quartierschreins an Festtagen hervorholte und uns Kindern erlaubt wurde, sie zu schlagen. Ferner wußte ich, daß früher die Grenzen eines Dorfes nicht geographisch, sondern durch den Punkt bestimmt wurden, bis zu dem die Ortstrommel zu hören war. Ich wollte mehr darüber erfahren. So lernte ich 111
    Yoshiyuki Asano kennen. Seine Werkstatt ist die älteste von Sado. Schon im frühen siebzehnten Jahrhundert bauten seine Vorfahren Trommeln. Asano zeigte mir, wie sie aus Eichen- oder Bubingaholz hergestellt werden. Zeit spielt für ihn keine Rolle. Es kann ein Jahr oder länger dauern, bis der Stamm endlich ausgehöhlt ist. Auch müssen gewisse Beschwörungsriten beachtet werden, denn Bäume sind als Göttersitze heilig. Der ausgehöhlte Stamm wird dann in monatelanger Arbeit innen und außen mit Sandpapier bearbeitet und geglättet.
    Dann werden mehrere Schichten Lack aufgetragen. Das Trommelfell selbst besteht aus der Haut von Rotrindern. Es wird hydraulisch fixiert und täglich einige Male befeuchtet. Asano inspiziert seine O-Daiko immer wieder, schlägt auf die Trommel und hört auf ihren Ton. Dann – eines Tages – klingt sie genau richtig: wie Regentropfen oder wie ein Herzschlag.«
    Er betonte das Gesagte mit den ausdrucksstarken Gesten eines Tänzers. Es wirkte geziert, war es aber nicht. Der japanische Akzent, der kaum zwischen R und L unterscheidet, verlieh seiner Stimme diese besondere Resonanz, heiser und trotzdem weich.
    »Asano ließ mich einen Schlegel in die Hand nehmen, das Trommelfell berühren. Da fühlte ich es zum ersten Mal. Ich fühlte, wie eine Kraft durch mich hindurch zog. Wie ein langsamer Blitz, der nicht brennt. Und ich dachte: Das ist es! Das gehört zu dem, was ich suche.«
    Ganz plötzlich verstummte er; ich warf einen Blick auf seinen nackten Arm und sah, daß er mit einer Gänsehaut überzogen war. Eine Schwäche überfiel mich.
    Es war, als ob eine flackernde Kraft sich aus ihm löste, mich einkreiste und bannte.
    Wie ein unsichtbares Feuer, das sich mit sanftem Streicheln über meinen ganzen Körper verteilte. Es war ein aufwühlendes Gefühl, etwas Seltsames, wie Fieber.
    Franca stellte ihre Fragen, ich saß da, schwieg und wußte mit untrüglicher Sicherheit, daß Ken nur zu mir sprach. Ich wußte es wie mit einem sechsten Sinn, ohne ihn anzuschauen. Ansehen konnte ich ihn nicht. Es ging über meine Kräfte.
    Aber das merkst du sicher, dachte ich. Solche Dinge merkst du ja. Und anderes auch. Charles’ Fragerei riß mich fast schmerzvoll aus meiner Verzückung.
    »Augenblick mal, ich kann Ihnen nicht folgen. Um was ging es denn eigentlich?«
    Seine Gereiztheit war deutlich zu spüren. Kens natürliche Ungezwungenheit, die Aura von Eleganz und Selbstbewußtsein, die ihn umgab, führten ihm seine eigene Mittelmäßigkeit allzu drastisch vor Augen. Und Ken nahm sich nicht einmal die Mühe, ihn anzusehen. Sein Blick glitt sarkastisch über Charles hinweg, während er seine Antwort ins Ungewisse richtete.
    »Das wußte ich damals auch nicht. Ich hatte nichts Konkretes im Sinn. Asano hatte mir einiges beigebracht. Dahinter waren andere Dinge, von denen er nicht sprach. Doch ich schuldete ihm viel zu viel, um mich zu beklagen. Vorläufig sah ich mir die Insel an, wanderte über den Strand. Sie erschien mir rein und unberührt, 112
    wie eine Welt der Götter. Ich sah die Ferne, das Meer; es war absolut schön. Hier wollte ich bleiben, bis an mein Lebensende.«
    Er trank einen Schluck, richtete erneut seine Augen auf mich. Ich senkte sofort den Blick. Ich konnte meine Gedanken nicht

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