Silbermuschel
kann schließlich ein anderer fahren.«
Ich lachte gequält.
»Es tut mir leid. Ich bin ein Nervenbündel.«
Er streichelte zärtlich meine Hände.
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»Und ich ein Idiot. A honto! – Wahrhaftig. Ich hätte es dir sagen müssen. Und jetzt hör zu. Ich prüfe nach, ob die Instrumente gut verladen sind, sehe mir an, was an Presseberichten gekommen ist und bringe den Papierkram in Ordnung.«
»Und dann?«
»Dann hole ich dich im Imperial ab. Wir verschwinden irgendwohin, wo uns kein Telefon stört. Zufrieden?«
Die Welle des Glücks, die mich durchflutete, lähmte mich fast ebenso wie der Schreck zuvor.
»Wohin gehen wir?«
Er küßte mich auf die Schläfe.
»Laß dich überraschen. Und jetzt tu mir den Gefallen, und zieh dir etwas an, oder ich garantiere für nichts. Du siehst zu verführerisch aus in diesem Frotteetuch.«
Ein paar Minuten später verließen wir das Zimmer. Der Raum blieb in chaotischem Zustand zurück, und Ken hatte seinen Slip noch immer nicht wiedergefunden. Wir nahmen den Lift; ich hoffte nur, daß wir Franca nicht begegneten. Draußen schien grell die Sonne. Es war ein warmer, windiger Tag, wie ich es liebte. Kens Motorrad stand, wo er es abgestellt hatte, und ohne Strafzettel.
Er nickte zufrieden, hob mein Handgelenk empor und sah auf meine Uhr.
»Wollen wir noch schnell etwas essen? Warst du schon mal in einem Soba-Restaurant? Nein? Dann komm!«
Das Lokal war lärmig und schummrig, die Wände über und über mit bunten Plakaten bedeckt, die Holzschnitte von Kabuki-Darstellern zeigten. Tische und Tresen waren aus grobgezimmertem, dunklem Holz. Am Tresen hockten Männer in dunklen Anzügen nebeneinander, alle mit todernsten Gesichtern, und schlürften Nudeln aus großen Keramikschüsseln, während zwei Kellner mit gehetztem Ausdruck hin und her rannten. Das Bild wirkte so komisch in seinem Kontrast –
die formelle Kleidung der Essenden, gepaart mit den kindischen Saug- und Schlürflauten –, daß ich anfing zu lachen. Wir setzten uns und bekamen zwei Minuten später eine große Keramikschale mit einer dampfenden Brühe vorgesetzt, in der lange weiße Nudeln schwammen. Ken ergriff seine Stäbchen und grinste.
»Versuch’s mal!«
Ich zog behutsam meine Eßstäbchen aus der Papierhülle und starrte ihn fragend an. Ken grinste noch breiter und zeigte mir, wie die glitschigen Nudeln aus der Brühe gefischt und – damit sie nicht von den Stäbchen rutschten – laut geschlürft wurden. Es war zu lustig. Vor lauter Lachen mußte ich die Stäbchen niederlegen und mich zuerst von diesem Anblick erholen.
»Ich glaube, das bringe ich nie fertig!«
»Aller Anfang ist schwer!«
Ich zog die Nudeln hoch, so gut es ging. Sie rutschten mir zwischen die Zähne wie Gelee, Brühetropfen spritzten in alle Richtungen, und ich konnte nicht 158
aufhören zu lachen.
»Ich kenne keine Ausländer, die sich in einem Soba-Restaurant nicht totlachen«, meinte Ken. »Vor allem, weil wir Japaner die Nudeln mit so ernsten Gesichtern schlürfen. Aber erstens sind sie heiß und zweitens kriegt man sie ja nicht anders in den Mund.«
Ich lehnte mich zurück, erschöpft vor Lachen und mit rotem Gesicht. Mein TShirt wies einige Suppenflecken auf.
»Weißt du, ich staune immer wieder, wie verspielt die Japaner doch sind. Das gefällt mir, das gefällt mir so! Du, zum Beispiel, machst keineswegs den Eindruck eines tüchtigen Managers. Du bist so wandlungsfähig. Einmal scheinst du hundert Jahre alt zu sein, ein andermal wirkst du wie ein kleiner Junge. Du machst jeden Unsinn mit, dir fällt dabei kein Zacken aus der Krone. Europäische Männer sind da ganz anders. Sie wollen zeigen, daß sie das Leben nicht auf die leichte Schulter nehmen.«
»Bei uns«, sagte Ken, »heißt es: Lachen bringt Glück. Europäer wollen ihre Persönlichkeit stets im Griff haben, konsequent sie selbst bleiben. Wir jedoch finden es völlig natürlich, unser Verhalten den Umständen anzupassen. Wir anerkennen zwar mehr oder weniger unbewußt, daß wir ein fundamentales Ich besitzen, doch die Art, wie wir uns äußern, ändert sich ständig. Unser Innerstes ist nichts Kompaktes, unverändert Stabiles, sondern eine Gewebe aus Dynamik und Ruhe. Ein japanischer Mann wird spontan zugeben, daß er unwissend und unreif ist, daß seine Frau ihm überlegen ist. Zu den unausrottbaren abendländischen Vorurteilen gehört nämlich auch das Bild, das man von der Japanerin hat. Durch Tradition und Erziehung dem Manne Untertan, so lautet die
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