Silbernes Band (German Edition)
des Wassers angenommen, er fühlte sich jetzt an, wie ein ganz normaler Mensch. Wie praktisch so ein heisses Becken doch war, um einen Unsterblichen aufzuwärmen. Wie lange er wohl warm blieb?
„Was haltet ihr davon, Weihnachten in London zu verbringen?“, unterbrach Fionn die Stille. Sie schlug gespannt die Augen auf. „Ich besitze ein komfortables Heim in Mayfair und würde mich sehr über eure Gesellschaft freuen.“ Heiðar und Rúna wechselten einen kurzen Blick. „Das wäre sehr schön, schliesslich hatten wir noch nie Gelegenheit, die Feiertage gemeinsam zu verbringen“, erwiderte Heiðar vorsichtig. „Was meinst du, Rúna?“ Er dachte an Pétur und Ulrike, die ihre Tochter an Weihnachten bestimmt gerne bei sich haben wollten. Sie schürzte etwas unschlüssig die Lippen. „Ehrlich gesagt würde ich sehr gerne nach London reisen. Ich finde auch, dass du endlich einmal Weihnachten mit deinem Vater verbringen solltest. Meine Eltern sind vermutlich enttäuscht, wenn ich an Heiligabend nicht bei ihnen bin, aber wir könnten sie ja zu Neujahr besuchen.“ Heiðar strahlte. „Du würdest mitfahren?“ – „Klar. Glaubst du etwa, ich lass mir das entgehen? Ich bin ganz schön gespannt, wie Unsterbliche Weihnachten feiern.“ - „Wunderbar! Dann gehe ich davon aus, dass wir alle gemeinsam nach London reisen“, meinte Fionn zufrieden.
Anruf bei Mama
Zwei Tage später wählte Rúna die Nummer in Akureyri und lauschte etwas angespannt dem sonoren Tuten. Nach dem fünften Klingeln meldete sich Ulrike. „Oh, hallo Rúna! Schön, dass du anrufst. Wie geht’s euch denn?“ – „Hallo Mama! Uns geht’s prima, und selbst?“ – „Danke, ich kann nicht klagen. Papa steckt bis über beide Ohren in Arbeit, und Gæfa kann es kaum erwarten, bis es Weihnachtsferien gibt.“ Weihnachtsferien – Rúnas Stichwort war bereits gefallen. „Hör mal, Mama.“ Sie räusperte sich leise, bevor sie weitersprach: „Ich wollte euch schon mal vorwarnen, dass wir an Weihnachten nicht hier sind. Wir feiern in London.“
Es blieb einen Moment still am anderen Ende der Leitung, dann war deutlich zu hören, wie Ulrike einatmete. „Oh... wie schade. Wir hatten fest damit gerechnet, dass ihr bei uns feiert. Na ja, ich meine, weil Heiðars Mutter nicht mehr hier ist...“ Rúna überlegte einen Moment, was sie antworten könnte. „Ja... Das tut mir echt leid. Wir haben die Reise schon gebucht.“
Ulrike hatte sich wieder etwas gefasst. „Fahrt ihr zu Heiðars Vater? Hat er noch Kontakt zu ihm?“ – „Ja, genau. Äh, ich meine...“ Rúna wurde ganz heiss, als sie ihren Irrtum bemerkte. Sie hatte sich gerade total verheddert. „Also, es ist so, dass wir bei Heiðars Cousin Fionn feiern. Er hat uns eingeladen. Die beiden verstehen sich sehr gut. Fionn ist schon eine ganze Weile in Island. Er hat sich nach Kristíns Tod um Heiðar gekümmert.“ Rúna war erleichtert darüber, dass sie die Kurve wieder erwischt hatte, Mama schöpfte anscheinend keinen Verdacht. „So, so. Heiðars Cousin. Wie schön, dass er noch Familie hat. Dann müssen wir euren Besuch wohl verschieben. Vielleicht klappt es ja zu Neujahr. Was meinst du?“ Rúna fiel ein, dass sie ihren Eltern noch gar nicht erzählt hatte, dass sie mit Heiðar zusammenzog. Besser, sie brachte das auch gleich noch hinter sich. „Ja, ich denke an Neujahr passt es. Nachher sind wir wahrscheinlich ziemlich beschäftigt. Heiðar und ich ziehen zusammen.“ Ulrike wirkte überrascht. „Tatsächlich? Du wirst bei ihm einziehen?“ – „Nicht ganz..“, druckste Rúna, „Wir ziehen gemeinsam in eine neue Wohnung.“ – „Na, prima! Wohin denn?“ – „An die Sólvallagata. Fionn hat da ein Haus gekauft.“
Es blieb wieder einen Moment still in Akureyri. „Ein Haus an der Sólvallagata. Könnt ihr euch das denn leisten? Immerhin willst du im Herbst an die Uni, dann verdienst du nicht mehr so viel.“ Rúna blies genervt die Luft aus den Backen. „Wir brauchen keine Miete zu bezahlen, bloss die Nebenkosten.“ Nun war Ulrike vollends perplex. „Ohh... Das ist wirklich grosszügig. ...Heiðars Cousin scheint ja über gewisse finanzielle Mittel zu verfügen. Wie schön für euch...“ Rúna wollte das unangenehme Gespräch zu Ende bringen. „Hör mal, Mama, ich muss jetzt los. Ich melde mich bei euch wegen Neujahr. Okay?“ – „Ich hab schon verstanden. Mach’s gut, Rúna. Liebe Grüsse an Heiðar... und an seinen Cousin. Bless, mein Liebes.“
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