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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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anerkennend. Dieser Morten musste eine unglaubliche Selbstbeherrschung haben.

    „Während der nachfolgenden grossen Grippe-Epidemie war ich praktisch rund um die Uhr beschäftigt und sah meine Gefährtin kaum noch. Nebenbei las ich medizinische Fachbücher, um mich auf den neuesten Stand zu bringen. Nachdem die Spanische Grippe ausgestanden war, hatten Sonia und ich wieder mehr Zeit füreinander, doch ich verfolgte mein Ziel beharrlich weiter. Als der zweite Weltkrieg ausbrach, hatte ich leider schon wieder ziemlich viel zu tun, übte weiter an meiner Selbstbeherrschung und wandte mein verbessertes medizinisches Wissen an. Nach Kriegsende beschloss ich, mein Studium fortzusetzen. Das war auch der Zeitpunkt, als ich mich endgültig von Sonia trennte. Wir waren einfach zu verschieden, meine Ziele liessen sich nicht mit einer Gefährtenschaft zu ihr vereinbaren. Seit Abschluss des Studiums habe ich in verschiedenen Ländern als Arzt gearbeitet. Zurzeit bin ich für die Europäische Gesellschaft der Unsterblichen tätig. Dort bin ich zuständig für alle medizinischen Belange im Zusammenhang mit den Blutbanken und für die Rekrutierung sterblicher Mitarbeiter.“

    Heiðar fuhr sich nachdenklich mit der Hand durchs Haar. „Fionn hat dich damals gesucht, damit du dich um meine Mutter kümmerst. Da ich ein besonderes Kind war, konnte sie keinen normalen Arzt aufsuchen.“ – „Ich hätte viel darum gegeben, diese Schwangerschaft begleiten zu können. Obwohl ich seit einigen Jahren weiss, dass männliche Unsterbliche zeugungsfähig sind, erschien es mir unwahrscheinlich, dass jemals eine Sterbliche das Kind eines Unsterblichen austrägt. Ich vermute, du bist der Einzige deiner Art.“ – „Das ist echt schräg, sich vorzustellen, dass du mich zur Welt geholt hättest.“ Sie grinsten beide belustigt. „Bedingt durch meinen Beruf bin ich natürlich neugierig auf dich. Erlaubst du mir, dir einige Fragen zu stellen?“ Heiðar tauschte einen Blick mit Fionn, der ihm bedeutete, dass es in Ordnung war, sich mit Morten zu unterhalten. Rúna wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Durch Morten würde die unsterbliche Gesellschaft von Heiðar erfahren. Womöglich wollten sie ihn für ihre Zwecke einspannen, denn er konnte sich noch unauffälliger unter Menschen bewegen als ein richtiger Unsterblicher. Dann zog man ihn mehr und mehr in diese unsterbliche Welt hinein. Ihr war nicht wohl bei dieser Vorstellung. Sie blickte Heiðar besorgt von der Seite an, er hatte sich aber bereits entschlossen, Mortens Fragen zu beantworten.

    „Wie verlief deine Kindheit? Hattest du schon immer das Bedürfnis, Blut zu trinken?“ Heiðar schürzte die Lippen: „In den ersten Jahren lebte ich ziemlich normal. Mein Wachstum wich nicht wesentlich von der Norm ab, weshalb ich nicht weiter auffiel. Meine Mutter berücksichtigte meine Vorliebe für Fleisch und Gerichte mit Schweineblut - so kam ich prima über die Runden. Sie brachte mir früh bei, mich den Menschenkindern anzupassen und meine besonderen Fähigkeiten nicht zu zeigen. Nach meinem zwölften Geburtstag verstärkte sich der Blutdurst. Es verwirrte mich und machte mir Angst, da ich den Grund dafür nicht kannte. Es gab nichts, um dem Durst dauerhaft zu entkommen. Ich fühlte mich wie ein Freak, wurde immer rastloser und verzweifelter und befürchtete ständig, ich könnte jemanden töten, deshalb zog ich mich total zurück. Meine Mutter erzählte mir schliesslich an meinem 18. Geburtstag, dass mein Vater ein Unsterblicher ist. Es war eine grosse Erleichterung, endlich Gewissheit zu haben. Seltsamerweise schockierte es mich überhaupt nicht – es war bloss die Antwort auf etwas, dass ich seit langem geahnt hatte. Danach begann ich regelmässig zu jagen und konnte endlich wieder einigermassen normal leben.“

    Rúna sass still und in sich gekehrt neben Heiðar und drückte seine Hand. Sie realisierte, dass Kristín lange Zeit die Tatsache verdrängte, dass Heiðar Blut brauchte und jagen musste. Stattdessen liess sie ihren Sohn mit seinen unsagbaren Qualen und Selbstzweifeln allein. Sie war ganz offensichtlich überfordert gewesen vom Umstand, dass ihr Kind besondere Bedürfnisse hatte. Deshalb weigerte sie sich, über Fionn zu sprechen oder darüber, wie Heiðar seinen Blutdurst stillen konnte. Rúna schluckte tapfer ein paar Tränen. Sie fand es erstaunlich, dass ihr Gefährte, trotz dieser schrecklichen Jugendzeit, heute mit beiden Beinen im Leben stand. Er wirkte

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