Silbernes Band (German Edition)
Cupcakes! Wie lecker!“ Die süssen Teilchen waren kunstvoll verziert, Rúna fand es beinahe schade, sie aufzuessen.
„Du hast nach meiner Hütte gefragt“, nahm Morten den Faden auf. „Sie steht im Rondane-Nationalpark und gehört mir schon seit vielen Jahren. Dein Gefährte hat sich nach einem Jagdausflug darin aufgehalten.“ – „Das war nach Kristíns Tod, als ich nach Oslo reiste“, ergänzte Heiðar. „Alles klar, du musst gerochen haben, dass ein Fremder in deinem Häuschen war“, stellte Rúna fest. „Bloss war er nicht wirklich fremd für mich. Ich wusste gleich, von wem die einzelnen Duftkomponenten stammten und kombinierte richtigerweise, dass Fionn ein Kind haben muss. Er war ziemlich überrascht, als ich ihn darauf ansprach.“ – „Hast du Heiðars Mutter gekannt?“ – „Leider nicht. Fionn und sie haben 1976 ein paar Tage in meiner Hütte verbracht, daher kannte ich ihren Duft. Als sie schwanger wurde, versuchte er mich zu kontaktieren, was leider unmöglich war, da ich mich für längere Zeit im brasilianischen Regenwald aufhielt.“ Heiðar blickte von Morten zu Fionn. „Warum hast du Morten gesucht?“ – „Lass ihn aus seinem Leben erzählen, dann wird es dir klar werden“, meinte Fionn mit einem feinen Lächeln.
Morten nickte, faltete seine Hände und fuhr fort: „Ich wurde 1877 in Trondheim geboren. Mein Vater war ein wohlhabender Kaufmann und ermöglichte mir, ein Medizinstudium aufzunehmen.“ Er grinste, als er die ungläubige Ahnung in den Gesichtern von Rúna und Heiðar bemerkte. „Zu jener Zeit waren fantastische Vampir-Geschichten sehr beliebt. Ich fand sie amüsant und unterhielt mich gerne damit. Dass an diesen Geschichten etwas Wahres sein musste, realisierte ich, als ich Sonia traf. Damals studierte ich noch und war beseelt vom Wunsch, ein guter Arzt zu werden. Sonia bezauberte mich mit geheimnisvollen Blicken und zog mich in ihren Bann. Als sie mich verführte, ging sie mir an die Kehle, sie schien geradezu fixiert zu sein auf meinen Hals. Erstaunt stellte ich fest, wie kühl sie sich anfühlte und wie kräftig sie war und vor allem - dass ihr Herz nicht schlug. All das erinnerte mich an bestimmte Passagen aus meinen Vampir-Geschichten“, meinte er verschmitzt, „also konfrontierte ich sie bei unserem zweiten Zusammentreffen mit meinen Feststellungen, worauf sie zugab, eine Unsterbliche zu sein. Meine Euphorie über die gemachte Entdeckung einer übermenschlichen Spezies liess mich jegliche Angst vergessen. Die Vorstellung, selbst ein solches Wesen zu sein, begeisterte mich. Ich dachte nicht darüber nach, was es in Wirklichkeit bedeutete, wollte einfach so werden wie Sonia und fragte sie, ob es möglich sei, mich zu verwandeln. Der Wunsch, unsterblich zu sein, war geradezu übermächtig. Von einem Tag auf den anderen warf ich alle meine Pläne über den Haufen, es zählte nur noch, auf ewig mit Sonia zusammen zu sein.“
Morten hielt einen Moment inne und lachte in sich hinein. Er schien weit weg zu sein, in jener Zeit, als er das Menschsein aufgab. „Sonia wollte mich als ihren Gefährten und verwandelte mich in der folgenden Nacht. Wir zogen fortan gemeinsam durch Europa und genossen unser unsterbliches Dasein, doch nach einigen Jahren bemerkte ich eine eigenartige Leere und begann meinen törichten Wunsch zu bereuen. Um diese Leere auszufüllen, besann ich mich auf meine früheren Ziele und entschloss mich sie weiterzuverfolgen. Ich entschied, mein Medizinstudium irgendwann wieder aufzunehmen. Sonia hatte erwartungsgemäss keinerlei Verständnis dafür, sie erklärte mich für verrückt. Während des ersten Weltkriegs begann ich mich um verletzte Soldaten zu kümmern, die man zwischen den feindlichen Linien zurückgelassen hatte. Natürlich tötete ich anfangs die meisten, hatte nicht die nötige Selbstbeherrschung, wenn sie wimmernd und blutend am Boden lagen.“
Rúna, die gebannt an seinen Lippen hing, verzog angewidert das Gesicht. Morten senkte beschämt seinen Blick, bevor er weitererzählte. „Mit der Zeit gelang es mir immer öfter, die Verletzten zu retten. Ich entwickelte eine Strategie, um den Durst auszublenden, indem ich mich voll und ganz darauf konzentrierte, den Männern das Leben zu retten. Ich stellte mir vor, ein Mensch zu sein, ein ganz normaler Arzt. Wenn die Verwundeten transportfähig waren, brachte ich sie im Schutz der Dunkelheit zurück zu den Truppen, wo man sich weiter um sie kümmern konnte.“ Heiðar nickte
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