Silbernes Band (German Edition)
meine unsterbliche Seite findet, dass ich viel mehr tun sollte, damit sie in Sicherheit ist.“ Er hob die Schultern. „Das ist mein Dilemma. Ich liebe sie sehr, vielleicht zu sehr. Vielleicht mehr, als sie mich liebt. Möglicherweise verlässt sie mich eines Tages, weil sie es nicht mehr aushält mit meinen Launen oder weil sie eine Familie gründen möchte.“
Morten reagierte erstaunt: „Du willst keine Kinder haben?“ Heiðar schüttelte vehement den Kopf. „Es wäre nicht richtig. Meine Erfahrungen wünsche ich niemandem, schon gar nicht meinen eigenen Kindern.“ Er dachte an die gestrigen Gespräche. Die schmerzhaften Gefühle, die dabei aufgekommen waren, hallten immer noch nach.
Fionn lauschte ihnen stirnrunzelnd: „Ihr hättet die Chance, es besser zu machen als Kristín und ich. Dann müsste das Kind nicht leiden, man könnte frühzeitig auf seine Bedürfnisse Rücksicht nehmen.“ Heiðar stellte sich vor, wie er seinem Kind eine Flasche mit Blut fütterte. „Nein, das kommt nicht in Frage. Wir wüssten nicht, wie stark das Erbe ist und wie Rúna eine solche Schwangerschaft überstehen würde.“ – „Ihr könntet ein Kind adoptieren“, warf Morten ein. „Nein, das ist definitv keine gute Lösung. Das Kind müsste mit dem Geheimnis und den damit verbundenen Konsequenzen aufwachsen, und ich könnte ihm nicht alles geben, was ich möchte. Es wäre einem fremden Kind gegenüber nicht fair.“ - „Wirst du dennoch versuchen, sie an dich zu binden? Wollt ihr irgendwann heiraten?“ Heiðar verdrehte die Augen. „Das ist noch viel zu früh, wir sind erst seit zwei Monaten zusammen. Es war schon ein schwieriger Entscheid für Rúna, so bald mit mir zusammenzuziehen. Ich darf sie nicht überfordern. Da ist wieder diese Ungleichheit der Gefühle. Ich versuche, es zu verstehen und geduldig zu sein. Sie muss mit vielen Dingen fertig werden, die in einer normalen Beziehung zwischen zwei Menschen nicht vorkommen, und durch Kristíns Tod hatten wir es doppelt schwer. Sie hat sich für mich entschieden, obwohl ich in einer ziemlich schwierigen Lebensphase bin. Paradoxerweise hat die Liebe, die ich für sie empfinde, mein Leben nicht einfacher gemacht, bloss viel schöner.“
Fionn legte ihm die Hand auf den Arm. „Möglicherweise spielt es keine so grosse Rolle, ob die Gefährtin ein Mensch oder eine Unsterbliche ist, sofern man von der begrenzten Lebenszeit einer Sterblichen absieht. Ich durfte in beiden Welten Erfahrungen sammeln und tat immer mein Möglichstes, um sie glücklich zu machen. Ich liebte sie über alles und war meinen Gefühlen ausgeliefert. Beide Gefährtinnen haben mich letztendlich verlassen.“ Morten nickte zustimmend. „Ich weiss, was du meinst. Ich war Sonia richtiggehend verfallen. Trotzdem war ich es, der sie schliesslich verliess.“ Fionn musterte Heiðar, der in Gedanken versunken sein leeres Glas in den Händen drehte. „Es gibt keine Garantie für ewige Liebe. Deshalb solltest du versuchen, etwas entspannter an die Sache heranzugehen. Sie liebt dich, wahrscheinlich mehr als du glaubst.“
Spionage
Im Stadthaus schräg gegenüber rührte sich nichts. Vermutlich geruhte Fionn zu ruhen. Und er musste hier seit zwei Tagen rund um die Uhr Wache schieben. Seine bisherigen Beobachtungen waren ziemlich aufschlussreich gewesen und hatten für einiges Erstaunen gesorgt.
Stellan wandte sich genervt vom Wohnzimmerfenster ab. Wenigstens hatte er ein angenehmes Quartier gefunden. Die Bewohner der eleganten Stadtwohnung in der dritten Etage waren über die Feiertage verreist. Vater, Mutter und zwei entzückende Kinder. Wahrscheinlich weilten sie auf ihrem Landsitz, um dort im Kreis der weitverzweigten Familie das Fest des alljährlichen Konsumrauschs zu begehen. Er nahm ein Foto vom Kamin. Es zeigte die Familie im Park des Landsitzes: Der Vater, zweifellos erfolgreicher Spross einer altehrwürdigen Familie. Bemühtes Lächeln über fliehendem Kinn, dazu fliehendes Haar in einem undefinierbaren Rotbraun. Seine rechte Hand ruhte auf der Schulter seines Erben. Der Achtjährige mit Zahnlücke trug denselben gepflegten Freizeitanzug, fein kariertes Tweedjackett in schlammgrün, dazu helle Wollhosen. Er hielt ein fuchsrotes feingliedriges Welsh-Pony am Zaum. An der Seite des erfolgreichen Mannes eine perfekt frisierte und geschminkte Blondine in einem altrosa Mantelkleid. Zwischen Mutter und Vater die rothaarige etwa fünfjährige Tochter. Ein hübsches Kind mit geflochtenem Haar und
Weitere Kostenlose Bücher