Silbernes Band (German Edition)
etwas schlafen.“ Fionn kam lautlos ins Zimmer. Er war barfuss, trug Jeans und T-Shirt. Morten überliess ihm seinen Platz, räumte seine Sachen zusammen und zog sich diskret zurück. „Ich kümmere mich um die Filmaufnahmen in den U-Bahn-Tunnels und an der Canary Wharf“, bot er an. „Danke, Morten.“ Fionn gelang der Anflug eines Lächelns, dann war Morten auch schon verschwunden.
Heiðars blasses Gesicht war gezeichnet von den schrecklichen Ereignissen dieser Nacht. Fionn fühlte sich schuldig, weil er die beiden allein ausgehen liess. Er hätte ständig auf sie aufpassen müssen. Wie konnte er ahnen, dass George seine verantwortungsvolle Position missbrauchte? Derjenige, der die Blutlieferungen koordinierte, wusste immer genau, wo sich die einzelnen Mitglieder aufhielten.
Er wollte diese Aufgabe in nächster Zeit selbst übernehmen, bis ein absolut vertrauenswürdiger Ersatz gefunden war. Ein leises Stöhnen riss ihn aus seinen Gedanken. Heiðar versuchte, noch etwas näher an Rúna heranzurücken. Mühsam robbte er auf der unverletzten Seite über das Laken. Die ungelenke Bewegung erreichte die linke Schulter und erinnerte ihn an die tiefe Bisswunde. Fionn streckte seine Hand nach den dunklen Locken aus und strich fürsorglich darüber. „Ich werde Wache halten. Versuch ein wenig zu ruhen.“ – „Ich muss auf Rúna aufpassen“, wehrte Heiðar ab. Fionn beugte sich zu ihm hinunter: „Überlass es mir, euch zu beschützen. Ihr seid in Sicherheit, schlaf, mein Sohn.“ Der silberne Schimmer senkte sich tief in Heiðars Blick und liess ihn ruhiger werden, bis er schliesslich aufgab und die Augen schloss.
Fionn hatte dafür gesorgt, dass er das Erlebte nicht im Traum verarbeiten konnte. Es wäre viel zu gefährlich, mit Rúna an seiner Seite. Nicht auszudenken, wenn er im Schlaf den Kampf fortsetzen wollte. Die beiden lagen praktisch reglos unter der Daunendecke. Für einmal nicht engumschlungen, aber immerhin ganz nah beieinander. Rúnas Herz schlug doppelt so schnell wie das von Heiðar, und sie brauchte auch doppelt soviele Atemzüge, um in den Tiefschlaf zu gelangen.
Er zog sich in den Ankleideraum zurück und nahm sein zweites Telefon zur Hand. Ein halbes Klingeln, dann wurde der Anruf entgegengenommen. „Fionn, mein Freund. Was verschafft mir die Ehre?“ Er kam gleich zur Sache, wenn auch verschlüsselt: „Guten Abend, Gabriel. Ich muss dir leider mitteilen, dass unser lieber Freund George heute Nacht gestorben ist. Sein jahrelanges Leiden hat nun ein Ende. Ich konnte bei ihm sein, als er von uns ging. Mein Sohn und seine Freundin erhielten zudem Gelegenheit, ihn kurz vor seinem Tod kennenzulernen. Es war sehr schmerzlich für die beiden, ihn in so schlechter Verfassung zu erleben.“ – „Wie traurig. Ich wünschte, ich wäre ebenfalls an seiner Seite gewesen. Schön, dass Victor ihn kennenlernen durfte.“ – „Nicht Victor. Ich spreche von meinem jüngeren Sohn Heiðar. Er stammt aus meiner Verbindung mit Kristín. Ich werde ihn dir demnächst vorstellen, dann kann er dir von seinem Zusammentreffen mit George erzählen. Es ist ihm sehr nahe gegangen. Ich mache mir etwas Sorgen um ihn und seine Freundin. Die beiden sind sehr sensibel, hoffentlich kommen sie gut darüber hinweg.“ Am anderen Ende der Leitung blieb es einen Moment still, bis Gabriel seine Fassung wiedererlangt hatte. „Das solltest du unbedingt tun. Ich brenne darauf, deinem Sohn vorgestellt zu werden. Besucht uns sobald als möglich, seine Freundin ist selbstverständlich ebenso herzlich willkommen.“ – „Da ist noch etwas“, fuhr Fionn fort. „Stellan war in den letzten Tagen ständig an George’s Seite. Seinen selbstlosen Einsatz sollten wir entsprechend würdigen. Er hat es verdient.“ – „Selbstverständlich. Ich nehme gleich Kontakt zu ihm auf, um mich bei ihm zu bedanken. Wir sollten ihn einladen, wenn ihr uns besucht. Dann können wir alle gemeinsam unserem lieben verstorbenen Freund gedenken.“ – „Sehr schön, eine wunderbare Idee. Lass mich wissen, wann Stellan vorbeikommen möchte. Gute Nacht Gabriel.“ – „Gute Nacht, mein Freund. Du hörst von mir.“
Ein neuer Morgen
Um sie herum eiskalte Stille. Sie stand irgendwo in völliger Dunkelheit. „Heiss das Himmelreich willkommen!“ Hinter sich hörte sie ein hässliches Knacken, und wie ein lebloser Körper zu Boden sackte. George hatte den armen obdachlosen Mann getötet. Sie wurde zu Boden gestossen, fiel in eine klamme, stinkende
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