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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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Pfütze. Ihre Hände tasteten suchend durch die Dunkelheit und stiessen auf den leblosen Körper. Rúna zuckte angewidert zurück. Die Panik legte sich noch etwas enger um ihren Brustkorb und liess sie keuchen. Plötzlich flammte helles Licht auf. Sie blickte direkt in die gebrochenen Augen des Toten. Im Traum erhielt der Obdachlose ein Gesicht. Eine leichenblasse, von Schmerz verzerrte Fratze, den Mund zu einem verzweifelten letzten Schrei geformt, der tote Blick anklagend und kalt. Sie musste sich mit ganzer Kraft von dem schrecklichen Anblick losreissen. Irgendwo, weit entfernt, wurde gekämpft. Sie hörte wütendes Knurren und Fauchen, und Körper, die krachend zusammenprallten. Einer der Körper wurde in ihre Richtung katapultiert, schlug heftig auf dem harten Boden auf und blieb liegen.

    „Heiðar!“ Er lag schwerverletzt in seinem Blut, versuchte immer wieder aufzustehen, doch es gelang ihm nicht. In seine Augen trat ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit. Er gab auf. Sie sah, wie George mit gebleckten Zähnen auf ihren Gefährten zuflog, um ihn zu töten. Sie schrie, liess ihre ganze Panik entweichen und begann unkontrolliert zu zittern. Fühlte endlich, wie eine kaltglühende Hand sie aus diesem furchtbaren Traum herauszog. „Beruhige dich, meine Liebe. Du bist in Sicherheit.“ Keuchend und schweissgebadet riss sie die Augen auf. Es war bereits hell im Zimmer. Die rettende Hand hielt ihren rechten Arm fest, dort wo der Pyjamaärmel hochgerutscht war. „Es war ein böser Traum. Ich bin bei dir.“ Die beruhigende Stimme gehörte Fionn, ebenso die streichelnde Hand, die ein sanftes Glühen auf der schweissnassen Haut hinterliess. Er stand an ihrem Bett und blickte besorgt auf sie herab. Sie fuhr abrupt hoch, entzog ihm den Arm und warf die Bettdecke von sich. Ihr Blick fiel auf den leeren Platz an ihrer Seite. „Heiðar!“ – „Er ist im Bad. Morten sieht sich seine Wunden an.“ Sie sprang an Fionn vorbei aus dem Bett. Durch die plötzliche Bewegung wurde ihr schwarz vor Augen, und sie drohte hinzufallen. Er fing sie rechtzeitig auf, hielt wieder ihren Arm fest und stützte ihren Rücken, strich dabei über den Stoff des Pyjamas. „Immer langsam, meine Liebe. Du hast zehn Stunden geschlafen, dein Kreislauf braucht etwas Zeit.“ Sie schüttelte sich, noch immer tanzten grellweisse Lichtpunkte vor ihren Augen. Einmal tief durchatmen, die Schultern gestrafft, jetzt ging es wieder. „Lass mich, ich muss zu ihm.“ – „Warte einen Moment.“ Er blickte ihr tief in die Augen. „Du sollst vergessen, dass letzte Nacht ein Mensch sterben musste. Was immer du in diesem Zusammenhang gesehen oder gehört hast, es ist nicht geschehen.“ Sein Blick löste sich wieder, er strich noch einmal über ihre Schulter. Sie entzog sich dem leichten Griff der kaltglühenden Hände und beeilte sich, ins Bad zu gelangen. Fionn blieb reglos neben dem verlassenen Bett stehen und blickte ihr hinterher.

    Heiðar sass mit leerem Blick auf der Umrandung der ovalen Badewanne. Oberkörper und Arme waren mit unzähligen blau-grünen Flecken übersäht. Wie seine Beine aussahen, konnte sie bloss erahnen, da er seine schwarze Jogginghose trug. Morten war dabei, den Verband an der Schulter abzunehmen. „Guten Morgen, Rúna. Wie geht es dir?“, begrüsste er sie freundlich lächelnd. „Es geht schon, danke.“

    Heiðar streckte den gesunden Arm nach ihr aus. In die Leere des Blicks mischte sich tiefer Schmerz, der aber nicht von seinen Verletzungen herrührte. Rúna war in zwei Schritten bei ihm. Ob auch ihr das Grauen der letzten Nacht so deutlich ins Gesicht geschrieben stand?

    Er zog sie wortlos an sich und vergrub den Schmerz in den wirren Locken. Ihr Haar und ihre Haut trugen noch immer George’s unerträglichen Geruch. Sie hatte geschwitzt, was den verhassten Duft noch stechender erscheinen liess. Dennoch war es tröstlich, ihren warmen Körper zu spüren, der sich liebevoll an ihn schmiegte. Rúna beugte sich etwas vor, um die Bisswunden an der Schulter anzusehen. Mehrere Hautschichten waren zerfetzt, im blutigen Fleisch sah sie etwas Weisses aufblitzen. Sie fühlte Übelkeit aufsteigen und war froh, dass Morten die Verletzung nicht kommentierte. Es war leichter, nicht darüber nachzudenken, was George’s kräftige Kiefer mit Heiðars Schulter angestellt hatten. Bestimmt blieben Narben zurück, die ihn für immer an diesen grauenhaften Kampf auf Leben und Tod erinnerten. Die Bisswunde am Unterarm war nicht ganz so

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