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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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bloss noch zu trinken. Das dichte Fell verströmte einen herben Schweissgeruch, der sich mit dem würzigen Saft vermischte. Tiere mit feinerem Pelz waren ihm lieber, aber hier auf Island war das Angebot beschränkt. Er schluckte gierig, um dem Tier unnötige Qualen zu ersparen. Der Wallach wurde allmählich schwächer, wehrte sich kaum noch.
     
    Heiðar löste die Lippen und hörte auf zu trinken. Sein Durst war gestillt. Ein Pferd dieser Grösse bot mehr Blut, als er schaffen konnte. Es lebte noch, atmete röchelnd und stöhnte. Heiðar packte mit einer Hand den Kopf, mit der anderen das Genick und brachte es mit einer kräftigen Drehbewegung zu Ende. Es knackte leise, das Herz verstummte.
     
    Er hockte sich für einen Augenblick neben das tote Tier und strich ihm leicht über das flauschige Fell. Obwohl er seit vielen Jahren Tiere jagte, tat es ihm leid, töten zu müssen. Er fühlte endlich die ersehnte Ruhe, doch da war auch eine eigenartige Leere, die er durch nichts ausfüllen konnte. Heiðar stand langsam auf, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und warf einen Blick auf den Rest der Herde. Die Pferde standen dichtgedrängt, mit hochgereckten Köpfen am anderen Ende der Weide, einige sogen schnorchelnd die Luft ein. Vielleicht versuchten sie zu verstehen, was da eben geschehen war. Vielleicht waren sie froh, davongekommen zu sein. Das seltsame Raubtier in Menschengestalt entfernte sich eilig von ihnen. Irgendwann würden sie sich vorsichtig nähern, um an dem Kadaver zu riechen und ihn mit ihren samtenen Nüstern anzustupsen. Nahmen auf diese Weise Abschied von einem Freund.
     
    Er zog sich das blutverschmierte Hemd aus und rieb damit die roten Spuren aus dem Gesicht. Im Wagen lag eine Tüte mit sauberer Kleidung und eine Flasche Wasser. Er kippte sich den Inhalt der Flasche über den Kopf, um sich notdürftig zu waschen, riss sich die besudelte Hose vom Leib und schlüpfte rasch in ein paar schwarze Jeans und ein blaues T-Shirt. Die leere Flasche und die schmutzigen Kleider schmiss er in den Kofferraum. Jetzt wollte er einfach nur nach Hause, unter die Dusche, und dann musste er allein sein. Er blickte voller Schmerz auf die Scherben seines Lebens: Seinen Vater kannte er erst seit Kurzem und lag bereits im Streit mit ihm. Hatte sich mit ihm überworfen, wegen einer Frau, die er nicht haben konnte, weil sie schon einen Freund hatte. Seine Mutter lag todkrank im Spital, sie musste bald sterben. Ihn plagten schreckliche Schuldgefühle, weil er immer wieder töten musste. Heiðar fühlte sich mies, ausgebrannt und verzweifelt. Ein erstickter Schmerzensschrei entrang sich seiner Kehle. Er schlug mit der Faust aufs Lenkrad, lehnte sich darüber, barg sein Gesicht in den Händen und schluchzte.
     
     

Ein Eisbär im Süden?
     
    Baldur Sveinsson pfiff fröhlich ein Liedchen vor sich hin, während er in seinem roten Jeep so dicht wie möglich an den Zaun der Pferdeweide holperte. Eines der Tiere lag auf der Seite und hielt ein Schläfchen. Seltsam war bloss, dass sich der Rest der Herde auf der anderen Seite der Wiese befand. Baldur hörte auf zu pfeifen, würgte den Motor ab und stieg rasch aus. Das Pferd, ein zweijähriger Fuchswallach, war offensichtlich tot. „Verflixt und zugenäht!“ Der Bauer hatte es eilig, zu dem toten Tier zu gelangen, strauchelte beinahe über den niedrigen Stacheldrahtzaun. Ihm stockte der Atem: Im Fell des Pferdes klebte getrocknetes Blut, die Halsschlagader war aufgerissen. Das austretende Blut hatte ein dunkles Rinnsal im Gras hinterlassen.
     
    Baldur raufte sich fluchend die schütteren grauen Haare. Auf Island gab es keine grossen Raubtiere! Hin und wieder verirrte sich ein Eisbär an die Küste im Norden. Aber das war bestimmt kein Eisbär gewesen, dann wäre das Pferd anders zugerichtet. Die Grösse der Bisswunde passte nicht zu einem Eisbären, zudem kamen die niemals bis in den Süden! Blieb nur noch ein wildgewordener Hund, der das Pferd getötet hatte, ohne davon zu fressen.
     
    Er beschloss, die übrigen Pferde auf Bissspuren zu untersuchen. Als er sich näherte, stob die Herde in Panik davon. „Verrückte Gäule!“ Die Tiere liessen ihn nicht an sich heran. Er versuchte es noch eine Weile und gab schliesslich entnervt auf. Würde er halt die Herde mit den Hunden nach Hause treiben, dort waren die Pferde besser geschützt, falls dieses Biest nochmals zurückkehrte. Den Kadaver musste er auch noch wegschleppen. Baldur Sveinsson war das Pfeifen gründlich

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