Silbernes Band (German Edition)
aber sie passen eigentlich gar nicht zusammen. Sie streiten sich ständig, können nicht miteinander, aber halten es auch nicht aus, getrennt zu sein.“ Er schürzte skeptisch die Lippen. „Das gefällt mir nicht. Ist doch blöd, sich ständig zu streiten, wenn man sich angeblich liebt.“ – „Die Dialoge sind ziemlich schräg. Ich hab’ mehr als einmal Tränen gelacht...“ – „Gibt es wenigstens ein Happy End?“ Sie runzelte leicht die Stirn. „Nein, nicht wirklich. Svanhvít kehrt zu ihrem Ex-Mann zurück.“ – „Dann möchte ich es lieber nicht lesen.“ – „Du suchst eine Geschichte mit glücklichem Ausgang. Muss es eine Liebesgeschichte sein?“ – „Das wäre schön. Und bitte nicht zu kompliziert.“ Sie überlegte. „Ich kann dir schlecht einen dieser Wohlfühlromane für Frauen empfehlen. Aber warte mal...“
Sie führte ihn in die Fantasy-Ecke. Grelles Kunstlicht brannte auf sie herunter. Die hochaufragenden Regale waren mit gruseligen Kürbisköpfen und schwarzen Fledermäusen aus Papier dekoriert. Von der Decke hingen ein Hexenbesen und ein weisses Gespenst. Und mittendrin er - das Halbwesen, vor dem Rúna sich eigentlich fürchten müsste. Furchtlos und ohne Vorwarnung drehte sie sich nach ihm um, fasste seine Schultern und drückte den Fliedermund auf seine Lippen. Um nicht die Kontrolle über sein tödliches Gebiss zu verlieren, presste er die Lippen reflexartig zusammen, dann schob er sie mit Nachdruck ein Stück von sich. Ihr Blick spiegelte Erstaunen und leise Enttäuschung.
„Behandelst du so deine Kunden?“, versuchte er sich in einen Witz zu retten. Ihre Enttäuschung wich einem Lächeln. „Bloss die ganz schwierigen Fälle.“ – „Tut mir leid. Ich hab’ nicht erwartet, dass du mich küsst..“ Als Wiedergutmachung strich er über ihren rechten Wangenknochen. Sein Daumen fühlte sich an wie eine seidenweiche, kühl-glühende Feder. „Du siehst müde aus. Ich hätte dich gestern nicht so lange bei mir behalten dürfen.“ Die Daumenfeder fuhr über den dunklen Schatten unterm Auge. „Ich hab’ zwei Augen“, erinnerte sie, als er die Hand sinken liess. „Sieht doch blöd aus, wenn bloss der eine Augenring weg ist.“ – „Du hast recht.“ Die kühl-glühende Behandlung fühlte sich auch beim linken Auge ziemlich toll an.
Er hob den Kopf. „Du solltest zur Kasse gehen, da möchte jemand ein Buch bezahlen.“ – „Woher willst du das wissen? Von hier sieht man nicht zur Kassentheke. Hast du’s etwa gehört?“ Er nickte. „Sieh selbst nach. Ich warte hier.“ Sie schnalzte missbilligend, machte sich aber dennoch auf den Weg. Da stand tatsächlich ein Kunde am Tresen. Er wechselte grade das Standbein und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Ladentisch. Rúna legte einen Zahn zu und knipste vorbeugend ein entschuldigendes Lächeln an. „Tut mir leid, ich hab’ dich nicht gesehen.“ – „Kein Problem.“ Der jungenhafte Typ um die Dreissig mit absichtlich zerzaustem rotblondem Haar und Flaum am Kinn lächelte zurück. Seine Ungeduld hatte sich ganz plötzlich gelegt. Rúna beeilte sich mit scannen und Kreditkarte einlesen. „Wann hast du Feierabend? Gehst du mit mir zum Kaffee?“ Nicht schon wieder, dachte sie genervt und legte Frost in ihre Stimme: „Nein danke. Ich hab schon einen Freund.“ Jetzt war er enttäuscht, das Lächeln wurde zur Schnute. Er nahm unwirsch die Tüte mit dem Buch entgegen und stapfte ohne ihren Abschiedsgruss zu erwidern davon.
Heiðar stand immer noch in der düsteren Fantasy-Ecke. „Ich dachte schon, du hast dich heimlich verdrückt – nachdem ich vorhin so schamlos über dich hergefallen bin.“ – „Auf keinen Fall - ich sagte doch, ich warte hier auf dich.“ – „Was grinst du so?“ – „Das hat mir eben sehr gut gefallen.“ – „Was? Dass der Typ mich zum Kaffe einladen wollte?“ – „Dass du mich als deinen Freund bezeichnest.“ – „Das hab’ ich bloss gesagt, um ihn loszuwerden.“ Er blickte traurig drein. „Du hast das nicht ernst gemeint?“ – „Ich kenne dich doch kaum. Damit ich dich als meinen festen Freund bezeichnen kann, brauch ich etwas mehr Zeit.“ – „Entschuldige. Ich bin manchmal etwas ungeduldig. Ich möchte jetzt schon gerne wissen, wie die Geschichte von Rúna und Heiðar ausgeht.“ Sie grinste. „Die muss doch erstmal geschrieben werden.“ – „Dann hoffe ich, dass das jemand tut. Und zwar mit einem glücklichen Ende.“ – „Das scheint
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