Silbernes Band (German Edition)
mal eine Pause“, stellte sie fest. „Natürlich, es eilt doch nicht. Wenn du möchtest, zeig ich dir den Rest der Wohnung. Und meine Bücher...“, ergänzte er vorsichtig. „Ja, deine Bücher würde ich mir ganz gerne ansehen...“ – „Die Bücher sind im Arbeitszimmer.“ Er führte sie zur knallorangen Tür auf der linken Seite des Flurs und wies im Vorbeigehen auf eine geschlossene blaue Tür gegenüber. „Da ist das Bad.“ Die rotgestrichene Tür ganz am Ende des Flurs erwähnte er bewussst nicht, die führte nämlich ins Schlafzimmer. Die orange Tür schwang auf, damit sie eintreten konnte.
„Wow, das ist ja die reinste Buchhandlung!“ Sie war ganz begeistert von den vollgestopften Regalwänden und dachte nicht länger an zweideutige Angebote. „Sieh dich ruhig um. Ich lass dich kurz allein, dann kann ich den Tee vorbereiten.“
Staunend betrachtete Rúna seine Sammlung. Natürlich hatte er die ganze Palette bedeutender isländischer Literatur, zudem viele Werke ausländischer Schriftsteller und zahlreiche Geschichtsbücher, darunter auch viele sehr alte Ausgaben, die sie ehrfürchtig musterte. Sie war ganz vertieft, die Bücher zu bewundern, nahm hier und da eines heraus, um vorsichtig darin zu blättern. Wohl deshalb fuhr sie vor Schreck zusammen, als plötzlich sein kühler Atem ihren Nacken streichelte. „Du darfst dir gerne etwas ausleihen“, meinte er sanft. Sie hatte nicht gehört, wie er hinter sie getreten war. Heiðar legte seine Hände auf ihre Schultern und streifte mit den Lippen ihre Wange. „Der Tee ist fertig, möchtest du mit ins Wohnzimmer kommen?“
Auf dem Couchtisch standen eine Platte mit den Brownies und ein gläserner Teekrug, dazu zwei Teller und Teegläser, aus denen es dampfte. Er setzte sich neben sie aufs Sofa, hielt dabei aber einen angenehmen Abstand ein. „Du hast mich noch gar nicht gefragt, von wem ich abstamme? Jemanden mit deinem Hintergrund sollte das doch ganz besonders interessieren“, foppte sie. Er grinste und liess dabei seine ebenmässigen Zähne aufblitzen. „In erster Linie interessiere ich mich für dich , aber du darfst mir natürlich gerne von deinen Vorfahren berichten. Ich finde das unheimlich spannend. Bitte.“ Er übergab ihr das Wort, sie räusperte sich übertrieben und straffte die Schultern: „Die Familie meines Vaters geht auf einen gewissen Bjálfi Grímsson zurück. Der soll im späten 9. Jahrhundert aus Norwegen nach Island gesegelt sein, wo er sich am Eyjafjord niederliess.“ – „Bjálfi. Ein besonderer Name.” – “Ja, es gibt sogar eine Geschichte dazu. Papas Ur-Ur-Urgrossvater hat sie einst aufgeschrieben. Das Schriftstück wird seither an den ältesten Sohn vererbt.“ – „Erzählst du mir diese Geschichte?“ – „Nee, das kann ich nicht. Papa hat seine eigenen Worte dafür. Vielleicht...“ Sie brach ab. Es war viel zu früh für irgendwelchen Familienklüngel.
Heiðar ging mit einem Lächeln darüber hinweg. „Was ist mit deiner Mutter? Woher stammt sie?“ - „Mama ist in der Nähe von Hannover aufgewachsen. Sie heisst Ulrike.“ – „Deine Mama stammt aus Deutschland?“ – „Jawohl!“, triezte Rúna auf Deutsch. „Stammt sie etwa von Karl dem Grossen ab?“, foppte er in einwandfreiem Deutsch zurück. Rúna klappte der Mund auf. „Woher kannst du so gut Deutsch? Hast du in Deutschland studiert?“ – „Nein. Ich bin ein richtiger „Daheimhocker“, aber ich habe schon früh deutsche Bücher gelesen.“ – „Was ist mit Derrick ?“ – „Ich glaube, ich habe kaum eine Folge verpasst.“
Sie führten ihre Unterhaltung auf Deutsch weiter. Erste Sahne, wie er das „R“ rollte...
„Was ist mit deinen Vorfahren?“, wollte Rúna wissen. „Der Vorfahre meiner Mutter hiess Ölvir. Er siedelte in der Nähe von Breiðdalsvík und wie es scheint, war das Land – oder zumindest ein Teil davon – lange Zeit in Besitz ihrer Familie. Krístins Onkel bewirtschaftete einen kleinen Hof.”
“Und dein Vater? Woher stammt er?” Diese Frage musste ja kommen. Er wandte gequält den Blick ab. Seine Selbstsicherheit hatte sich grade in Luft aufgelöst. „Können wir ein anderes Mal darüber sprechen?“, bat er leise. „Entschuldige. Das hätte mir klar sein sollen... ich meine, du bist nach deiner Mutter benannt... Verzeih mir.“ Er nickte mit zusammengepressten Lippen, versuchte dann ein hilfloses Lächeln.
„Deine Brownies schmecken sagenhaft. Du scheinst ein gewisses Talent zu haben“,
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