Silbernes Band (German Edition)
Märchenbuch. Rúna versuchte nicht Rot zu werden. „Darf es sonst noch was sein?“ Er spielte mit. „Nein danke, das wäre alles.“ Sie gingen hintereinander zur Kasse, Dóra folgte ihnen.
„Du brauchst es nicht einzupacken, ich lese es gleich hier.“ Sie schmunzelte bei dem Gedanken, dass er allen Ernstes und vor aller Augen dieses Märchenbuch für Kinder lesen wollte. „Viel Spass beim Lesen“, wünschte sie und hauchte ihm hinter Dóras Rücken einen Kuss entgegen. „Wenn ich alle diese Geschichten gelesen habe, wird mein eigenes Märchen vielleicht auch wahr...“ Er streichelte zärtlich ihren Handrücken, als er das Buch entgegennahm.
Zwei Tassen Kaffee und eine Stunde später verabschiedete er sich mit einem heimlichen hastigen Kuss an der Kassentheke. „Ich habe meiner Mutter versprochen, sie heute zu besuchen.“ – „Ist schon in Ordnung. Sehen wir uns morgen?“ – „Wann immer du möchtest.“
Als er acht Minuten später das Krankenzimmer betrat, bemerkte Kristín gleich das geheimnisvolle Leuchten in seinen Augen. Sie kannte es nur zu gut, hatte es vor vielen Jahren schon einmal gesehen. Damals war sie der Auslöser dieses Leuchtens gewesen, allerdings nicht in Heiðars Augen. „Möchtest du Kaffee?“ Er hob die Thermoskanne, um festzustellen, wieviel noch drin war. „Später. Erst musst du mir von ihr erzählen.“ Sein Grinsen geriet eine Spur verlegen. „Du hast mich durchschaut.“ – „Dein Blick sagt ganz deutlich, dass grosse Gefühle im Spiel sind. Du darfst mir das auf keinen Fall vorenthalten.“ Sie lächelte matt und tätschelte liebevoll seine Hand.
„In Ordnung.“ Er zog einen Stuhl heran, räusperte sich und begann zu erzählen: “Die Frau, von der ich dachte, sie hat bereits einen Freund... Nun, das war bloss ihr Mitbewohner. Ich durfte Rúna am Montag zum Kaffeetrinken einladen. Dienstag waren wir im Lækjarbrekka, und gestern habe ich für sie gekocht. Sie ist wunderbar und bedeutet mir sehr viel...” Er machte eine Pause, in der Hoffnung, sie wäre zufrieden mit dieser kurzen Schilderung. “Rúna.” Kristín schaffte ein kleines Lächeln. “Es freut mich sehr, dass du sie gern hast.”
Seine Mutter wusste natürlich von der einen oder anderen flüchtigen Beziehung. Jedes Mal hoffte sie vergeblich, dass es die Eine war, mit der er alles teilen konnte. “Bedeutet sie dir so viel, dass du ihr von deinem Geheimnis erzählen möchtest?” - “Ich habe noch nie solch intensive Gefühle erlebt. Es ist eine Qual, wenn ich von ihr getrennt bin, und es drängt mich, sie zu beschützen. Am Anfang war es bloss ihr Blut... Ich hatte Angst, die Beherrschung zu verlieren...”, er sah die Sorge in ihrem Gesicht und wie sie erschreckt die Hand vor den Mund hielt. “Es ist so wie bei dir und Fionn. Ich begehre sie, und es ist mehr als nur das Blut, das weiss ich jetzt. Wenn ich mit ihr zusammen bin, dann bin ich im Gleichgewicht, obwohl ihre Nähe eine ziemliche Herausforderung ist. Es ist, als wären wir zwei Hälften eines Ganzen, oder zwei Puzzleteile, die man endlich zusammengefügt hat.”
Sie lächelte wissend. „Dann bist du wohl unsterblich verliebt. Wirst du es ihr sagen?” - “Es ist das einzig Richtige”, Heiðar atmete heftig aus, “Aber ich habe schreckliche Angst, sie deshalb zu verlieren. Fionn meint, ich solle ihr behutsam zeigen, was ich bin, und das versuche ich auch. Aber da ich viel menschlicher bin als er, ist das Geheimnis nicht so offensichtlich, das macht es schwieriger.”
Vielleicht gab es eine Möglichkeit, ihm ein wenig zu helfen. Sie dachte daran, wie es damals war, als sie selbst unsterblich verliebt war. “Du solltest sie unbedingt bald einmal herbringen, ich möchte sie gerne kennenlernen.” Er verzog unwillig das Gesicht. “Wir kennen uns doch erst seit Kurzem! Ich möchte nicht, dass sie denkt, sie wird unter die Lupe genommen.” - “Bitte tu mir den Gefallen, es ist sehr wichtig für mich. Ich muss Gewissheit haben, dass du in guten Händen bist.” Er verdrehte genervt die Augen, sie blickte ihn scharf an, hob die Augenbrauen und reckte den Kopf. “Ich habe die Behandlung abgebrochen, das heisst, ich sterbe bald. Ich wünsche mir, dass du ein gutes Verhältnis zu deinem Vater aufbauen kannst, und ich möchte gerne die Frau kennenlernen, die dein Herz gewonnen hat. Dann wird es mir leichter fallen zu gehen.”
Heiðar wurde von einem lähmenden Schmerz erfasst. Wie gern würde er die
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