Silbernes Band (German Edition)
weisse Bettdecke geheftet. Ihre Augen brannten. Sie konnte nicht verhindern, dass ein paar Tränen das Feuer zu löschen versuchten.
„ Schöne, löst das silberne Band,
zerreisst es mit harschen Worten.
Totenherz in Grabesstille,
Seelenschmerz im Flammenmeer.
Nichts anderes fühl ich mehr.“
Es blieb mäuschenstill im Krankenzimmer. Fionn trat einen Schritt näher, hob ihren Blick von der Bettdecke und hielt ihn sachte fest. Auf diese Weise waren sie verbunden und liessen die lange unterdrückte Liebe fliessen.
Heiðar hatte mit einem Mal das Gefühl zu stören. Obwohl seine Mutter noch immer seine Hand hielt und in einem Fort zärtlich darüber strich. Dabei sollte sie nach einer anderen Hand greifen. Er berührte ihre Wange, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. „Ich hab Rúna versprochen, dass ich sie von der Arbeit abhole. Sehen wir uns morgen?“
Lächelnd nahm sie sein Gesicht in die Hände und fuhr durch die dunklen Locken. „Natürlich mein Liebling. Lass Rúna schön grüssen, und pass gut auf sie auf, hörst du.“ Sie zog ihn zu sich herab und küsste ihn liebevoll auf den Mund. Das hatte sie noch nie getan. Eine Träne löste sich und rollte über ihre Wange. Heiðar wischte sie vorsichtig ab. Sie blickten einander tief in die Augen, ihr gelang nochmals ein Lächeln. „Geh schon! Lass sie nicht warten.“ Er erwiderte das Lächeln und löste sich zögerlich von ihr. „Bis morgen, Mama.“ Fionn legte ihm die Hand auf die Schulter und nickte. „Wir sehen uns.“
Heiðar verliess das Krankenhaus in euphorischer Stimmung. Seine Eltern liebten sich immer noch, bestimmt fanden sie wieder zueinander. Gleich morgen wollte er Urlaub beantragen, dann konnte er seine Mutter nach Hause holen, um sich gemeinsam mit seinem Vater um sie zu kümmern. Kristín würde sich dazu entschliessen, von Fionn gerettet zu werden. Heiðar wollte ihr dabei helfen, sich an ihr neues Dasein zu gewöhnen. Sie wären eine unsterblich glückliche Familie. Es spielte keine Rolle, dass sie Island verlassen müssten, bestimmt begleitete Rúna ihn. Die Tatsache, dass er ihr von seinem Geheimnis erzählen musste, war bloss ein kleines, unbedeutendes Detail. Ein Punkt auf einer Liste, den man abhaken musste.
Nachdem Heiðar das Zimmer verlassen hatte, trat Fionn ans Bett und griff nach der mageren Hand. „Wir haben Heiðar sehr glücklich gemacht. Es könnte immer so sein. Lass mich dir helfen.“ – „Nein. Es wird nicht so sein, dies ist nicht mein Weg. Es war niemals mein Weg, daran kann auch die Liebe nichts ändern.“ Sie trug bereits wieder ihre Maske. Er versuchte dennoch, zu ihr vorzudringen: „Meine Liebe ist stark genug, sie reicht für uns beide. Ich verspreche dir, dass du leicht in dein neues Dasein findest. Du könntest so leben wie Heiðar, er tötet keine Menschen...“ – „Schweig, Fionn! Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten. Was ist mit dir? Willst du mich wieder enttäuschen?“ Sie quälte ihn, stiess ein unsichtbares Messer in das kalte Herz. „Ich halte mich selbstverständlich an das Versprechen, ich bin es dir schuldig.“ – „Du musst jetzt gehen.“ Sie hatte den Satz kaum beendet, als er auch schon verschwunden war. Die hellgrüne Tür fiel leise ins Schloss.
Mein Herz, meine Liebe
Die Nachtschwester hatte soeben ihren letzten Rundgang beendet. Sie bemerkte nicht, wie ein lautloser Schatten über den schwach beleuchteten Flur huschte. Die hellgrüne Tür wurde erneut geöffnet, Kristín erwartete ihn bereits.
„Danke, dass du gekommen bist.“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Er nickte kaum merklich. „Ich bin hier, weil ich dich liebe. Und ich respektiere, dass du keinen anderen Weg gehen willst.“ Sie versuchte ein Lächeln, fasste nach seiner kaltglühenden Hand und deutete mit dem Kopf zum Nachttisch, auf dem ein verschlossener Umschlag lag. „Bitte gib Heiðar diesen Brief. Er wird es verstehen.“ Fionn nahm den Brief an sich und steckte ihn in die Innentasche seines Jacketts. „Es gibt kein Zurück von jenem Ort.“ Sie nickte. „Ich bin bereit zu gehen. Ich lasse meinen schwachen Körper hier und sehe euch von irgendwo zu.“
„Sag mir noch einmal, dass du mich geliebt hast“, bat er flehend. Ihre wunderschönen hellblauen Augen blickten direkt in sein stummes Herz hinein. Der fein geschnittene Mund schenkte ihm ein letztes Lächeln. Er würde diesen Augenblick niemals vergessen. „Ja, Fionn, ich habe dich
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