Silbernes Band (German Edition)
Heiðar sich darauf nieder. Fionn blieb mit feierlicher Miene neben ihm stehen. „Dies ist ein besonderer Moment. Wir sind zum ersten Mal als Familie vereint. Danke Kristín, dass du es möglich machst.“ Fionn hatte ausgesprochen, was sie alle fühlten. Heiðar blickte abwechselnd von seiner Mutter zu seinem Vater. Er wusste nicht, ob sie erwarteten, dass er etwas dazu sagte. Kristín hielt Heiðars Hand und strich unablässig darüber, brach dann das Schweigen, obwohl sie kaum sprechen konnte. „Wir haben damals in Kanada gelebt, weit draussen in einem Blockhaus im Jasper Nationalpark. Es war eine wunderschöne Vollmondnacht, als du gezeugt wurdest.“ Sie blickte zum Fenster. Es dämmerte bereits, die Mondsichel war hinter den dicken Wolken nicht zu sehen. „Ich hatte draussen ein Bad genommen, im Hot Pot hinter dem Haus“, meinte sie verschmitzt.
Fionn sprach weiter, den Blick auf Kristín geheftet: „Du warst ins Mondlicht getaucht. Ich konnte nicht widerstehen.“ Für einen Augenblick sah Heiðar die tiefe Liebe, die seine Eltern einst verbunden hatte. Die verschüttet war unter der Unvereinbarkeit der beiden Welten. „Dein Vater hat geweint, als er zum ersten Mal deinen Herzschlag hörte.“ Fionn nickte zustimmend. „Es war überwältigend.“ Heiðar fühlte, wie eine Welle der Liebe ihn erfasste, sie kam von beiden Seiten. Seine Eltern hatten ihn geliebt, von Anfang an. Jeder auf seine Weise und nach seinen Möglichkeiten. Es bedeutete ihm unendlich viel, dass sie diese Dinge aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit mit ihm teilten.
Kristín war in Gedanken bei ihrer Schwangerschaft. „Wenn du unruhig warst, hat Fionn einfach seine Hände auf meinen Bauch gelegt und mit dir gesprochen. Dann bist du immer gleich eingeschlafen – und ich meist auch.“ Heiðar gelang ein Grinsen. „Diesen Trick beherrscht er heute noch. Bei unserem ersten Treffen hat er mich einfach ins Bett geschickt, als es ihm zuviel wurde.“ – „Fionn! Wie kannst du nur!“ Er beeilte sich, ihre Empörung zu zerstreuen. „Keine Sorge, mein Herz. Ich habe keinen Bann ausgesprochen, es ging lediglich darum, Abstand zu gewinnen. Mittlerweile habe ich mich an seine Nähe gewöhnt.“ – „Er macht das wirklich ganz gut, Mama. Hab keine Angst.“ Fast wollte er sie bitten, sich von Fionn retten zu lassen. Damit dieser kurze Moment des Glücks weiter andauern konnte. Damit sie endlich eine Familie sein konnten. Er musste sich mit aller Macht daran erinnern, dass seine Mutter das nicht wollte.
Sie sprach weiter, obwohl es sie Kraft kostete, die sie nicht mehr hatte. „Wir zogen mitten im Winter ins hinterste Austurdal. Die Leute haben uns für verrückt erklärt, eine Schwangere und ein Ausländer, die gemeinsam eine heruntergekommene Schaffarm übernehmen!“ Kristín und Fionn schmunzelten beide gleichzeitig. Bestimmt hatten sie dieselben Erinnerungen an jene Zeit. „Wenn es draussen stürmte und schneite, haben wir es uns in der kleinen Wohnstube gemütlich gemacht. Fionn hat mir ganze Bücher erzählt – und Gedichte.“ Sie suchte seinen Blick: „Kannst du für uns ein paar Verse rezitieren?“
„Selbstverständlich, mein Herz.“ Er brauchte nicht zu überlegen, welches Gedicht er vortragen wollte. Es waren Verse eines unbekannten isländischen Dichters, die er in einem schmalen Büchlein gefunden hatte, das er vor vielen Jahren in einem Antiquariat in der Innenstadt gekauft hatte. Es passte perfekt, fast schien es, als hätte es der Dichter extra für ihn verfasst. Mit leiser, melodischer Stimme begann er die Zeilen wiederzugeben:
„ Schöne, geboren aus Feuer und Eis,
gebettet in Moos am strömenden Fluss.
Herzklang im Heidekraut,
Sternglanz im Silberlicht.
Mehr brauch‘ ich nicht, um zu sein.“
Während er sprach, ruhte sein Blick auf Kristín. In ihren hellblauen Augen begann es verdächtig zu schimmern. Heiðar sah ihnen dabei zu, wie sie sich an ihre Liebe erinnerten. Wie Fionn versuchte, mit seinen Worten etwas längst Zerrissenes zusammenzuknüpfen.
Kristín begann mit stummen Lippen die Verse zu begleiten, deren Wortlaut sie seit vielen Jahren kannte.
„ Schöne, wärmst mein kaltes Herz,
umfängst es mit zarten Händen.
Lebensquell im Seidenschimmer,
Feuerkuss im Mondenschein.
Ist alles, wonach mich dürstet.“
Das Gedicht nahm eine traurige Wendung. Der Schmerz in den Worten war Fionn deutlich vom Gesicht abzulesen. Kristín hielt den Blick auf die
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