Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
Vom Netzwerk:
Neun bei der Arbeit, dann wollte er in der Buchhandlung vorbeigehen. Fionn war noch immer nicht erreichbar, dabei mussten sie unbedingt miteinander sprechen. Heiðar konnte diesen schrecklichen Verdacht nicht zwischen ihnen stehen lassen. Kristíns Bruder Eirík musste er ebenfalls benachrichtigen. Er wohnte in den Ostfjorden, in Breiðdalsvík. Kristín hatte kaum Kontakt zu ihm gehabt, nachdem sie sich damals mit ihrer Familie überworfen hatte. Sie hatten nie verstanden, wie sie sich mit diesem Ausländer einlassen konnte und einfach so, völlig überstürzt ihre Heimat verliess. Kristíns Eltern lebten beide nicht mehr, da waren nur noch ihr Bruder und seine Frau Birta. Heiðar wählte die Nummer.
     
    „Hallo? Wer spricht da?“, bellte es ungehalten in den Hörer. Eirík war nicht erfreut über die frühmorgendliche Störung. Heiðar räusperte sich leise: „Hallo Eirík. Hier spricht Heiðar, Kristíns Sohn.“ – „Heiðar? Was gibt’s denn?“ – „Kristín ist letzte Nacht gestorben, sie hatte Krebs. Ich wollte es dir sagen, falls du zur Beerdigung kommen möchtest.“ Am anderen Ende war schweres Atmen zu hören, bevor Eirík seine Stimme wiederfand. „Oh, wie traurig. Das tut mir leid für dich. Wann findet denn die Beerdigung statt?“ – „Das muss ich alles erst organisieren. Ich kann dich anrufen, sobald ich es weiss.“ – „Ja, tu das. Birta und ich kommen in jedem Fall.“ – „Danke, Eirík, das ist sehr freundlich. Also, bis bald, du hörst von mir.“ – „Nimm’s nicht so schwer, mein Junge. Bis bald.“ Der Hörer in den Ostfjorden wurde ungelenk aufgelegt.
     
    Kurz nach Neun machte er sich auf den Weg zur Buchhandlung. Rúna hatte den Bücherwagen bei sich und sortierte Bücher ein, so wie bei ihrer ersten Begegnung. Er ging lautlos zu ihr hin. „Rúna.“ Seine Stimme klang kratzig, als hätte er Halsschmerzen. Sie blickte erstaunt auf, sah den Schmerz in seinen Augen und wusste es, instinktiv. Rasch legte sie das Buch, das sie eben einordnen wollte, auf den Wagen zurück, war mit zwei langen Schritten bei ihm und schlang die Arme um ihn. „Sie ist heute Nacht gestorben.“ Er hielt sich an ihr fest, suchte Trost in ihrem Herzschlag und in ihrer Liebe. So standen sie eine Weile in stummer Umarmung. Rúna strich in einem Fort sachte über seinen Rücken.
     
    „Ich kann mir bestimmt den Tag frei nehmen, dann bleibe ich bei dir.“ Heiðar schüttelte stumm den Kopf. Er konnte jetzt nicht in der Wohnung herumsitzen, auch nicht mit ihr zusammen. Er musste hinaus in die Natur, es drängte ihn zu laufen. Nur so konnte er mit seinem Schmerz umgehen. „Sehen wir uns heute Abend? Bleibst du dann bei mir?“, bat er flehend. „Ich komme gleich nach der Arbeit vorbei.“ Sie küsste ihn vorsichtig auf den Mund, bevor er sich schnell umdrehte und die Buchhandlung verliess, sich ins Auto setzte und Richtung Osten fuhr.
     
    Der Wind brauste unbarmherzig über die Heide und lieferte sich ein Kräftemessen mit ihm. Heiðar lief, bis er kaum noch Luft bekam, schrie seine Ohnmacht hinaus und schleuderte sie dem eisigen Wind entgegen. Stundenlang trotzte er den Elementen. Regen und Wind konnten ihm nichts anhaben, der Schmerz kam aus seinem Herzen. Erst als er die traurige Tatsache akzeptiert und den unerträglichen Schmerz angenommen hatte, fühlte er sich etwas befreit. Durchnässt und schmutzig fuhr er nach Hause.
     
    Fionn erwartete ihn mit versteinerter Miene im Flur. Sie umarmten sich schweigend. „Geh schon mal ins Wohnzimmer, ich zieh mir rasch trockene Sachen an.“ Fionn nickte stumm, wartete aber im Flur, bis Heiðar wiederkam.
     
    Sie gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo sie einander gegenüber standen. „Sie wollte, dass ich dir diesen Brief übergebe.“ Fionn fischte den weissen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Heiðar. Er öffnete ihn, zog das Papier aus dem Umschlag und las ihre letzten Worte:
     
    Mein lieber Heiðar
     
    Wenn Du diesen Brief erhältst, bin ich nicht mehr hier. Ich habe Fionn gebeten, mir zu helfen, da ich keine Kraft mehr habe und die Schmerzen nicht mehr länger ertragen kann. Verzeih mir, und bitte sei Fionn nicht böse. Er tat es aus Liebe zu mir.
     
    Wie schön, dass Du Rúna gefunden hast. Sie ist die Richtige für Dich. Ich bin sicher, Ihr werdet sehr glücklich miteinander.
     
    Ich bin stolz auf Dich und werde Dich immer lieben, mein Sohn, wo immer ich auch bin!
     
    In Liebe, Kristín
     
    Heiðar las den Brief mehrmals, obwohl er

Weitere Kostenlose Bücher