Silbernes Band (German Edition)
weisst du über Heiðar, was deiner Meinung nach zu seinem Geheimnis gehören könnte?“
Sie hasste dieses blöde Ratespiel. Konnte er nicht auf den Punkt kommen? Trotz allem holte sie tief Luft und zählte auf: „Heiðars Haut fühlt sich kühler an als meine, sein Herz schlägt viel langsamer, er kann sich sehr schnell und lautlos bewegen, er ist sehr stark (sie dachte an ihre Blutergüsse und wie leicht er sie übers Wasser getragen hatte), er glaubt an Elfen und kann sich ihnen nicht nähern, er verirrt sich selbst im dicksten Nebel nicht, Pferde fürchten sich vor ihm, und er muss anscheinend Dinge tun, die er lieber nicht tun würde. Er hat Schuldgefühle deswegen.“ Sie hob hilflos die Schultern.
Fionn sah ihr herausfordernd in die Augen. „Du hast fast alle Puzzleteile, Rúna. Jetzt musst du sie bloss noch zusammensetzen! Ich sitze hier bei dir, esse nicht, trinke nicht … atme nicht.“
Er stand plötzlich neben dem Sofa auf dem sie sass. Rúna entfuhr ein erschreckter Schrei, sie hatte nicht mitgekriegt, wie er sich bewegt hatte. Es erinnerte sie an Heiðar, der sie auf dieselbe Weise überrascht hatte. Allerdings legte er es nicht darauf an, sie zu erschrecken.
„Erlaubst du?“ Fionn griff nach ihrer Hand – wie kalt er sich anfühlte! - und zog sie hoch, als wollte er sie zum Tanz auffordern. Ihre Hand lag plötzlich auf seiner Brust, dort, wo üblicherweise das Herz schlug. Rúna erstarrte. Da war kein Herzschlag! Sanft führte er ihr Handgelenk an sein Gesicht. Seine kühle Nase fuhr schnuppernd über ihre Haut und sog ihren Duft ein. „Du riechst einfach köstlich.“ Sie kämpfte gegen eine unsägliche Panik an, die ihr Herz rasen liess.
Fionns hungriger Blick fixierte ihre Kehle und seine Lippen streiften sachte ihren Puls. Er grinste. Ein gefährliches Grinsen, das ein makelloses Gebiss entblösste. Wie spitz die blitzenden Eckzähne waren! Rúna verschluckte einen weiteren Schrei, erkannte nun endlich, was er war. Eine Kreatur, die es doch gar nicht geben konnte! Echt oder nicht, es bestand jedenfalls kein Zweifel an seinen Absichten. Dieses Monster, dieser blonde Vampir wollte sie töten!
Er schloss geniesserisch die Augen und küsste ganz zart ihr Handgelenk. „Bedauerlich, darauf verzichten zu müssen“, seufzte tief und liess sie endlich los. Blitzschnell zog sie ihre Hand weg und wich so weit wie möglich zurück. Sie stand mit dem Rücken zur Wand, bewegte sich nicht mehr und wagte kaum zu atmen.
„Hab keine Angst, ich werde dir nichts tun.“ Seine Stimme klang sanft, und er lächelte freundlich, als wäre nichts weiter geschehen. „Da du Heiðars Gefährtin bist, verschone ich dich selbstverständlich.“ In ihrem Kopf summte es. War dies bloss ein böser Traum? Stand sie wirklich zitternd vor Angst in dieser Hotel-Suite und glaubte sich einem Vampir gegenüber? Wenn sie davon ausging, dass es so war, was dann? Es gab jede Menge Bücher und Filme über Vampire, aber in echt? Heiðar war angeblich der gemeinsame Sohn von Kristín und Fionn, was bedeutete, dass er zur Hälfte Vampir sein musste. Rúna liess zu, dass die Puzzleteile an ihren Platz fielen und sich zusammenfügten. Es ergab alles einen Sinn. Sie wurde seltsam ruhig, als sie die Wahrheit erkannte. Heiðar war zur Hälfte Vampir. Sie hatte die Augen verschlossen vor dieser Tatsache. Alle diese untrüglichen Anzeichen, dazu seine merkwürdigen Hinweise. Hätte sie es nicht eher erkennen müssen? Konnte sie damit leben? Die Panik kehrte unvermittelt zurück. Heiðar war zur Hälfte Vampir! Tausend Fragen stürzten auf sie ein, Tränen drängten an die Oberfläche. Jetzt bloss nicht weinen!
Fionn schien ihre Gedanken erraten zu haben: „Bestimmt hast du viele Fragen, die ich dir gerne beantworten werde. Natürlich musst du nun auch mit Heiðar darüber sprechen. Ich weiss, dass er sich dir offenbaren möchte. Eins musst du aber noch wissen, es ist das Wichtigste überhaupt: Du musst dieses Geheimnis um jeden Preis bewahren! Ich übernehme hiermit die Verantwortung für dich. Wenn du das Geheimnis verrätst, wird man mich zwingen, dich zu töten.“
Rúna nickte automatisch, ohne die Bedeutung seiner Worte wirklich verstanden zu haben. Natürlich, niemand durfte es wissen. Fionn setzte sich wieder in seinen Sessel, freundlich und harmlos, als wäre er wirklich bloss Heiðars wohl erzogener Cousin aus England, und nicht sein furchterregender Vampir-Vater. „Bitte setz dich
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