Silbernes Band (German Edition)
die eine oder andere Ex-Freundin, das könnte aufschlussreich sein.“ – „Gute Idee, das machen wir. Wenn dieser Heiðar ein mieses Schwein ist, dann ist es unsere Pflicht, Rúna vor ihm zu beschützen. Dann müssen wir sie davon überzeugen, dass er nicht gut ist für sie, auch wenn sie noch so verliebt ist.“ Palli nickte zustimmend, zog seinen Freund in die Arme und küsste ihn zärtlich.
In ihre leidenschaftliche Umarmung vertieft, bemerkten sie nicht, dass der lautlose Schatten in die Küche gehuscht war. Fionn trat ungehört an sie heran und legte ihnen je eine Hand auf die Schulter. Die kalte Berührung liess die beiden erschreckt zusammenfahren. Sie lösten sich voneinander und blickten beide zugleich in das schöne Antlitz eines Fremden. Ihre Münder öffneten sich in ungläubigem Erstaunen. Ein tiefer Blick verhinderte, dass sie irgendwelche Worte formen konnten.
„Ihr werdet keine Nachforschungen anstellen über Heiðar. Er ist ein feiner Kerl und der richtige Mann für eure Freundin. Rúnas Verletzungen interessieren euch nicht weiter, ihr werdet nicht mehr danach fragen. Und ihr habt mich niemals gesehen.“ Fionn löste den Bann und verschwand aus der kleinen Wohnung. Palli zog Snorri in die Arme. „Lass uns schlafen gehen.“
Rúna hoffte vergeblich, dass Heiðar sich vor seiner Abreise bei ihr meldete. Sie wusste ja nicht einmal, um welche Zeit er abflog. Wie ein Häufchen Elend sass sie am nächsten Morgen am Frühstückstisch und versuchte, etwas Toast und Kaffee in sich hineinzuzwingen. Snorri und Palli waren bereits zur Arbeit gefahren.
Die Klänge einer Standuhr kündigten die Sieben-Uhr-Nachrichten an. Als sie noch klein war, glaubte sie, dass die Leute vom Radio tatsächlich eine Standuhr im Studio aufgestellt hatten. Immerhin hatte sie nie gedacht, dass klitzekleine Menschen im Radiogerät hockten und tapfer das Programm bestritten. Papa hatte ihr nämlich einmal erklärt, wie Fernsehen und Radio funktionierten. Bei einem Besuch bei Oma Klara in Deutschland hörte sie eines Morgens dieselben Schläge aus Omas Esszimmer. „Oma! Du hast die Uhr aus dem Radiostudio geklaut!“, entrüstete sich darauf die kleine Rúna. Oma hatte ihre Enkelin bloss verständnislos angeblickt, bis Mama sie schliesslich aufklärte. Sie lachten, amüsierten sich auch heute noch über Rúnas kindliche Fantasie.
Sie merkte grade noch rechtzeitig, dass sie versuchte, in warme Erinnerungen ihrer Kindheit zu flüchten. Es half nichts – sie musste über Heiðar nachdenken. Zu gerne wollte sie Snorris Erklärung glauben, dass Heiðar nach dem Tod seiner Mutter einfach etwas Abstand brauchte. Dass er allein sein musste mit seiner Trauer um Kristín. Rúna war in den letzten Tagen kaum von seiner Seite gewichen, vielleicht hatte er ihre Nähe nicht länger ertragen können.
Viel wahrscheinlicher aber war, dass er sich von ihr zurückzog, weil er sie verletzt hatte. Er schämte sich dafür, was er ihr im Schlaf angetan hatte, und befürchtete, es könnte wieder passieren. Heiðar war in gewisser Weise gefährlich für sie, deshalb durfte sein Geheimnis nicht länger zwischen ihnen stehen. Sie musste wissen, woran sie war, auch wenn es möglicherweise das Ende ihrer Beziehung bedeutete. Das Wissen um sein Geheimnis zwang sie vielleicht dazu, sich gegen ihre Liebe zu entscheiden.
Trotz allem hoffte sie, dass er sich nicht einfach durch die Hintertür aus dieser Beziehung verabschiedete, weil er nicht den Mut hatte, sein Geheimnis mit ihr zu teilen. Weil er ihr nicht vertrauen konnte und es vorzog, sein bisheriges Leben weiterzuleben.
Bevor sie zur Arbeit ging, packte sie ihre Ängste und trüben Gedanken in die hinterste Ecke ihres Herzens und verbot ihnen, sie weiter zu quälen. Sie musste versuchen sich abzulenken, gab vor, sich auf die Arbeit zu freuen, und beschloss, keine Sekunde lang mehr an Heiðar zu denken. Das klappte besser als erwartet, da sie den ganzen Tag über gut beschäftigt war. Nach einem arbeitsreichen Tag, war sie entsprechend müde, als sie um halb Sieben die Buchhandlung verliess.
Jagd in Norwegen
Heiðar war mit der Frühmaschine nach Oslo geflogen. Am Flughafen Gardermoen mietete er sich einen Geländewagen und fuhr damit zum Rondane Nationalpark.
Er liess den Wagen an einem Rastplatz zurück, schulterte seinen Rucksack und machte sich auf den Weg in die Wildnis. Da keine Menschen in der Nähe waren, kam er sehr schnell voran. Inmitten des riesigen Parks fühlte er sich
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